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Viele Knutschkisten

■ Mit der Ausstellung „auto mobile moden“zeigt das Focke-Museum: Auto-Design macht glücklich / Ein Schwerpunkt der Autoschau ist das Bremer Borgward-Werk

Die FetischistInnen waren auch schon mal liebevoller – oder besser gesagt: Sie liebten den Kameradschaftswitz. Denn mit Begriffen wie „Knutschkugel“, „Kommißbrot“oder „Schneewittchensarg“setzten die deutschen Autofans in den 50er Jahren bis heute unübertroffene Maßstäbe in der Alltagspoesie. Schuld an diesen Wortschöpfungen waren die Hersteller von rollenden Seltsamkeiten wie BMW Isetta, Hanomag 2/10 oder Messerschmitt Kabinenroller. Einem Ratschluß der Leitung des Focke-Museums zufolge sind die „Knutschkugel“und 30 weitere Objekte aus über 100 Jahren Automobilbau ab Freitag als „auto mobile moden“unter dem Dach des Ausstellungshauses zu sehen.

„Vor zehn Jahren wäre eine solche Ausstellung in einem kulturgeschichtlichen Museum undenkbar gewesen“, sinniert Jörn Christiansen, Direktor des Focke-Museums. Autos gehörten auf die Straße, in die Garage, auf die IAA, ans Hochufer des Lago Maggiore und allenfalls in ein Technikmuseum.

Doch inzwischen sind sich Museumsleute wie Christiansen bewußt geworden, daß ein Auto mehr ist als ein Verkehrsmittel: „Auto-Design ist Kunst“, erkannte der Documenta-8-Leiter Manfred Schreckenburger schon 1987 etwas vorschnell und stellte einen nagelneuen Mercedes in die Kasseler Orangerie. „Auto-Design ist sinnstiftend“, erkannten die OrganisatorInnen der Schau im Focke-Museum und stellten gleich das ganze Pavillongebäude im Schwachhauser Park mit Produkten aus den Häusern Mercedes, Opel, Adler oder Borgward voll.

„Huch, ein Trabi“, „Guck mal, den hatte ich als Matchbox-Modell“oder „Sehen Sie, der wurde bis dreiundfünfzich noch aus Holz gebaut!“sprudelten schon während der gestrigen Vorbesichtigung Emotionen aus den ersten BesucherInnen hervor. „Die Menschen lächeln“, stellte auch Museumsleiter Jörn Christiansen fest. Damit auch er, sowie die Angestellten der mitveranstaltenden Hanseatischen Veranstaltungsgesellschaft (HVG) sowie Hermann Pölking-Eiken, Chef der ebenfalls mitveranstaltenden Agentur C & P, am Ende lächeln, müssen bis Anfang Februar mindestens 40.000 Menschen glücklich gemacht werden. So viele BesucherInnen sind nach Christiansens Angaben nötig, um keine Verluste zu erwirtschaften.

Für Eintrittspreise zwischen sechs und zwölf Mark wird aber auch etwas geboten. Und: Zum Glücklichwerden muß man nicht hunderte von Türen öffnen wie noch bei der von Philippe Starck konzipierten Design-Ausstellung. Angefangen bei einem Nachbau des ersten benzinbetriebenen Fahrzeugs, der Daimler-Maybach-Motorkutsche von 1887, bis hin zu einem Science-Fiction-Gefährt aus Sindelfingen sollen die Autos auch als zeitgeschichtliche Dokumente präsentiert werden. Texthäppchen und Fotos zu historischen Ereignissen, Filmschnipsel oder Beispiele aus Industrie- oder Textildesign sind die sichtbaren Folgen dieses Konzepts.

Weil auch eine Ausstellungsfläche von 2.500 Quadratmetern Grenzen hat, haben sich Christiansen, sein Kurator Jörn Borchert und Co auf deutsche Auto-Moden beschränkt, zu denen das Bremer Borgward-Werk beitrug. Die Chronologie der Firma bis zum Konkurs 1961 wird deshalb ebenfalls in Wort und Bild nachgezeichnet. In einem Sonderausstellungsraum werden Werk- und Designstücke aus der Fabrik vorgestellt.

Wie emotional die Bindungen und Erinnerungen vieler BremerInnen an Borgward heute noch sind, weiß Jörn Christiansen: Der Mit-initiator Hermann Pölking-Eiken, der mehrere Bücher über die Firmengeschichte veröffentlicht hat, „denkt bei diesem Ausstellungsprojekt nicht nur ans Geschäft“. Ähnlich ein fast 93jähriger Ex-Borgward-Arbeiter: Der war sofort bereit, bei geplanten „Austellungsgesprächen“aus dem Nähkästchen zu plaudern und zu verraten, welche Wortschöpfungen bei Borgward erfunden wurden. ck

„auto mobile moden“vom 1. November bis 1. Februar im Focke-Museum; Eröffnung Freitag, 31. Oktober um 19.30 Uhr; Katalogbuch 38 Mark; Eintritt di-fr neun Mark, sa+so zwölf Mark, ermäßigt und Kinder sechs Mark

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