: Wahren Wörthersee-Punk gibts nur in Bremen
■ Das Weser Label wird 15 Jahre: Claus Fabian, Labelchef und Sänger der Mutterband „Fabsi & Der Peanutsclub“erzählt von entwendeten Langneseschildern, der Zensur und dem einzig möglichen Werder-Trainer
Viele, allzuviele halten den Punk für eine wunderbare Pubertätsbewältigungsstrategie, die man allerdings spätestens Mitte 20 hinter sich gebracht haben sollte. Claus Fabian ist der überlebende Beweis wider diese eklige Halbtoleranz. Über dezent angeleiertem Hintern, gemütlichen Doppelkinnlagen und großen, weisen Augen thront ein dünner, dafür gelber gewordener Haarschopf. Dessen stachelige Haltung rettete sich über die Jahre hinweg. Keine Frage: dieser Mann ist in Würde nichtgealtert. Mit 22 Jahren trommelte er dem 15jährigen Campino ein Lied im Toten Hosen-Vorläufer „ZK“. Später kam es zur versehentlichen Gründung des „Weser Labels“, unter dessen herber Haube wegweisende Bands wie HbW, die Goldenen Zitronen oder King Rocko Schamoni lärmten.
Am Samstag ist im Schlachthof großes Feiern angesagt. Das Weser Label, das in den letzten Jahren ein wenig zum Punk-Devotionalien-Versand (Kisten voller T-Shirts, Aufkleber, Sticker) mutierte, feiert 15. Geburtstag; aber eigentlich feiert viel mehr als ein Label: ein Lebensgefühl, ein Selbstbefreiungsprogramm, eine geniale Idiotenverärgerungsmethode. Hingehen ist absolute Pflicht.
Und Herr Fabian erzählt so nett von der Geschichte des Bremer Punk und den Qualen der Chipswahl, daß man ihn gar nicht unterbrechen mag.
„Nein! – ! –Sidka ist nicht der richtige Trainer für Werder. Kann gar nicht angehen. Eher schon – hihi – Alexander Ristic ... Tjaa, die neue Punkwelle. Offspring haben gerade mal zwei gute Songs. Der Rest: Müll. Und auf der Bühne – einfach zum Einschlafen. Green Day dagegen hat absolute Klasse, ganz ohne Abstriche. Ist ja nicht so, daß ich nur am Alten kleben würde. Zum Beispiel Faith no more. Da betreten solide Herren in Anzügen die Bühne; voller Grauen schwant uns: Genesis. Doch dann die Musik. Die neue CD ist sowas von gewaltvoll, so was von genial!!! ...
Peanuts esse ich nur noch die, die man aus der Schale pellen muß, richtig proletarisch, mit eigener Hände Arbeit. Chips esse ich gar nicht mehr. Im Supermarkt sehe ich ganze Regalkilometer voller Chips, Chips mit Karniggelgeschmack, Chips mit Marmeladengeschmack... die richtigen aber finde ich nicht mehr. Chipskaufen ist aussichtslos: Man vergreift sich sowieso.
Nicht viel anders ist es mit dem Musikmarkt. Auch der leidet an einem Überangebot. Die CD-Technologie hat Weser Label ziemlich in die Defensive gedrängt. Es ist heute für junge Bands viel billiger, viel einfacher geworden, ihre Musik zu produzieren. Und garantiert hat irgendein Onkel einen CD-Brenner im Keller stehen. Da bleibt einem gar nichts anderes übrig, als nostalgisch zu werden, so richtig kitschig sentimental. Früher steckte in einer Scheibe Vinyl noch sehr viel Liebe, Zeit, Ehrgeiz und Feuereifer drin. Hielt man eine junge Band für gut, dann wagte man nach vielem Grübeln hin, Grübeln her eine Single. Vier, fünf Mark: der begeisterte Konzertbesucher war gerade eben mal bereit, soviel Geld springen zu lassen für eine Band ohne Namen. Und tatsächlich wurden an einem Abend um die 25 Stück verschachert. Ein Jammer, daß es heute diese bezahlbaren Singles nicht mehr gibt. Maxis dagegen sind nichts als Betrug: Remixe ohne Ende, und trotzdem hast du nur einen einzigen Scheißsong. Die Herstellung einer Platte dauerte. Allein das Pressen des Vinyls fraß einen Monat weg; gab schließlich nur fünf oder sechs Überspielstudios in Deutschland. Als nächstes das Cover. Da wurde aus Zeitungen ausgeschnipselt, geklebt und dann ab zur Belichtung. Die maulten dann mit schöner Beständigkeit: A, ne, nich schon wieder diese Schnipseleien; wir: doch, doch, macht mal, genauso. Heute setzt du dich eine Stunde an den PC, und fertig ist das Booklet. ...
Vinyl ist im übrigen viel persönlicher. Du hörst zu und weißt genau, Achtung, jetzt gleich, im nächsten Moment kommt der Kratzer, den sich die Platte bei dieser dämlichen soundso-Party zugezogen hat. Knacken als Erinnerungshilfen, besser als jedes Foto. Deshalb wird das Weser Label wieder mehr in Vinyl machen. ...
Du glaubst nicht, was wir früher für Musik alles getan haben. Samstag morgens früh aufstehen, zum Bahnhofskiosk, um den Kollegen das letzte Exemplar des NME wegzuschnappen. Und anschließend zu den im NME empfohlenen Konzerten nach London und Platten eingekauft, um sie zuhause in der Disco stolz vorführen zu können. Mit Internet brauchst du deinen Arsch bald gar nicht mehr von der Stelle bewegen. ...
Meine Musik hat sich in der Essenz kaum verändert, die Einstellung allerdings schon. Früher war Punk vor allem ein Chaotisierungsmittel und Befreiungsinstrument: raus kommen von zuhause, aus Düsseldorf, der Lehre (der Leere?). Es ging ums große Erleben. Man besuchte Partys, schlechte Partys, gute Partys, meist waren es schlechte, egal. Der Tourenbus war gerammelt voll, aber weniger mit Equipment als mit seltsamen Fundstücken von noch seltsameren Orten, ein paar Barhocker von dieser Kneipe, ein paar von jener. Heute schleppe ich keine Langneseschilder mehr ab, sondern Tafeln zu unseren Konzerten mit, die die Geschichte des Labels dokumentieren. Das Konzept Punk verfolge ich heute bewußter. ... Ich wollte niemals Chef sein. Es hat sich eben ergeben. Das Weser Label ist nichts als eine Notlösung. Mimmi's, die Band von meiner Frau Elli und mir, wollte niemand haben. ... Der Versand hat uns mindestens 150.000 Mark Straf- und Rechtsanwaltgebühren gekostet. Barschel in der Badewanne, darunter „Wann gehen die anderen baden“machte satte 15.000 Mark. Dabei ist der Satz von meiner Mutter, – und die ist hochkatholisch. Ein Würzburger Polizist fühlte sich mal verunglimpft durch den Aufdruck „Deutschland verrecke“. Das T-Shirt hat da bereits sechs Jahre lang ohne Beanstandungen existiert. Dennoch rollte die Polizei an und durchsuchte diese Räume, – zum x-ten Mal.
Richtig verärgert hat mich aber nur Greenpeace. Wegen einem simplen Bindestrich zwischen dem „Green“und dem „piece“und einer kleinen Hanfpflanze darunter rückten die uns mit juristischem Kampfgeschwader zu Leibe. Kostenpunkt: 10.000 Mark. Als wir unserem Ärger in unserem Katalog Luft machten, erhielten wir rührende Briefe. Manche erzählten uns von ihrem Austritt bei Greenpeace und schickten uns ihren Mitgliedsbeitrag als Trostpflaster. Das war Weihnachten –95. ...
Natürlich. Von Punk zu Leben ist ein ewiges Auf und Ab. '93 kam es dann auch persönlich ganz dick. Ein Selbstmord in meinem näheren Umfeld, zwei Todesfälle, und dann hat es sogar auch noch meine Punckatze erwischt. Kritische Zeit. Aber das ist jetzt vorbei, durch die neue Punkwelle, vor allem aber wegen Gina. Die ist 15 Monate alt ....
Heute existieren unter dem Logo Punk unheimlich viel verschiedene Lebenskonzepte. Für manche ist es nur noch eine Frage des Stylings. Erzählte mir doch glatt mal einer: er würde auch gerne Punk sein, aber die Klamotten seien so teuer. Wahrscheinlich stammt die beste Definition des Punks immer noch von Campino: Mit den Eltern 10 Jahre lang an den Wörthersee in Urlaub fahren, das ist Punk.“
An Herrn Fabians Lippen hing Barbara Kern
Im Schlachthof spielen am Samstag „Fabsi & der Peanutsclub“, „The Lurkers“, „Heiter bis Wolkig“und „Rumble on the beach“
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