piwik no script img

Tanz den Sondergeld

■ Etat mehr als verdoppelt: Belgische Ensembles und die Bremer Szene kommen beim 9. Tanzherbst groß raus

Schnaubend kniet der Mann am Boden. Mit bizarr verrenkten Gliedern wirbelt er den Oberkörper herum, schleudert den Kopf wild im Kreis, ehe er ermattet im Ortsamt Mitte zusammen sinkt.

Ist es Klaus Sondergeld, Senatssprecher und Noch-Geschäftsführer der Bremen Marketing GmbH, kurz vor der peinlichsten Presseerklärung seines Lebens? Oder doch eher ein zutiefst verzweifelter Hans Diers, einer der Leiter des Bremer Tanzherbstes, weil ihm Charleroi Dances – Plan K, das Highlight des am 7. November beginnenden Festivals, kurzfristig abgesagt hat?

Alles falsch. Leonard Cruz: So heißt der Mann mit den Gliederschmerzen. Mit einem Ausschnitt aus dem neuen Stück „Dance Walk“(Premiere 14.11.) leitete der Tänzer am Bremer Tanztheater die Pressekonferenz zum Bremer Tanzherbst ein.

Nach diesem optischen Appetizer war die Vorstellungskraft gefragt. Denn Festivalleiterin Susanne Schlicher hatte ihre Ballettschuhe zu Hause gelassen und beschränkte sich darauf, wortreich die Vorzüge der neunten Auflage des Bremer Tanzherbstes anzupreisen. Wer glaubt, Tanz habe mit Architektur, bildenden Künsten und Neuen Medien in etwa so viel gemein wie der neue Kindermercedes mit Kurvensicherheit, sollte sich eine Dauerkarte kaufen. Denn „die Suche nach den unscharfen Grenzen zu diesen Nachbarkünsten“ist laut Schlicher die programmatische Richtschnur der zehntägigen Veranstaltung. Doch nicht etwa breakdancende Parkhäuser oder Laptops im Spagat sind bis zum 16. November zu erleben. Vielmehr ist es „der Körper und die Suche nach dem menschlichen Maß in der Kunst“, der, so Schlicher, die VeranstalterInnen dazu bewegt hat, die künstlerische Auseinandersetzung mit den technologischen Umbrüchen der Moderne und ihre Auswirkungen auf den Tanz zu suchen.

Neben Plan K (7./8.11), die in ihrer Produktion durch den Einsatz überdimensionaler Spiegel und Diaprojektoren „den Brückenschlag zwischen Ballettgeschichte und den Neuen Medien“bewerkstelligen wollen, werden zwei weitere belgische Gruppen Akzente setzen. In deutscher Erstaufführung wird die Compagnie Michèle Anne de Mey ein dramatisches Tanzgedicht zu Schuberts Streichquartett zeigen (11.11.). Les Ballets C. de la B. widmet sich in „Eat, eat, eat“den fragilen Momenten menschlicher Intimität (13.11.).

Der Choreograph Rui Horta aus Portugal wird mit der bekanntesten deutschen Tanzgruppe S.O.A.P. Dance Theatre aus Frankfurt das Stück „Khora“zeigen. Unter Einsatz von Videofilmen und Overheadprojektoren, auf denen schmelzende Eiswürfel immer neue Lichteffekte hervorrufen werden, will Horta die Macht der Gewohnheit zertanzen (16.11.).

Die Bremer Tanzszene feiert eine Uraufführung. „La Chute“heißt das Stück von Susanne Linke. Angekündigt als „eine Suche nach archaischen menschlichen Verkettungen“, wird das Ensemble mit Hilfe eines Kordelwaldes den Traum des Fliegens und den Alptraum des Sturzes auf die Schauspielhausbühne bringen (9.11.).

Mit Blick auf dieses Programm fiel es Sondergeld nicht schwer, die Verdoppelung der städtischen Zuschüsse auf 350.000 Mark als „angemessene Würdigung der überregionalen Bedeutung des Bremer Tanzherbstes“zu bezeichnen. Sowas gibt es in Zeiten von Kultur GmbH und McKinsey also auch noch: Erhöhung der städtischen Zuschüsse und allerorts freudestrahlende Gesichter, obwohl KünstlerInnen und PolitikerInnen in einem Raum saßen. zott

Nähere Infos unter 76 876

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen