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Waigel schließt die Kasse – ganz Bonn gesperrt

■ Einmalig: Finanzminister Theo Waigel mußte gestern zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres eine Haushaltssperre verordnen. So kratzt er die letzte Milliarde zusammen

Berlin (taz/dpa/AFP) – Schon wieder mußte Finanzminister Waigel zu einem drastischen Mittel greifen, zum zweiten Mal in diesem Jahr: der Haushaltssperre. Jetzt soll sie total sein. Keine einzige Anschaffung, die nicht gesetzlich vorgeschrieben oder bereits zugesagt ist, wird in den letzten Monaten dieses Jahres ohne Segen der Ministerialen mehr bezahlt werden.

Am 11. November ist die Stunde der Wahrheit. Dann wird sich herausstellen, wieviel Steuern tatsächlich in diesem Jahr in die Bundeskasse geflossen sind – und daß es weitaus weniger ist, als Waigels Prognosen erhoffen. Der Nachtragshaushalt ist längst obsolet, vermutet die Opposition. Offenbar fühlt der Finanzminister das Damoklesschwert Steuerschätzung so nah über seinem Kopf baumeln, daß er nach jeder Mark greift, die er noch auf irgendeinem Bürokratentisch vermutet. „Die kleinen sächlichen Verwaltungsausgaben“ – was immer das auch ist (Locher? Papier? Stifte?) – sollen pauschal um fünf Prozent gekürzt werden, so die Anordnung. Und schließlich wird keine freie oder freiwerdende Stelle, die vom Bund bezahlt wird, dieses Jahr besetzt werden. Summa summarum: Eine Milliarde Mark Einsparung wird die ganze Aktion bringen, hofft Waigel. Die letzte Haushaltssperre, die im Juni verhängt worden war und alle Ausgaben über einer Million Mark unter Genehmigungsvorbehalt gestellt hatte, brachte gerade einmal zwei Milliarden Mark. Und beim Mal davor im Jahr 1996 waren es vier Milliarden Mark gewesen.

Die strukturellen Defizite im Haushalt würden damit nicht angepackt, kritisierte der haushaltspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Oswald Metzger, gestern vor der Presse in Bonn. Er erwarte, daß das Haushaltsdefizit des Bundes damit 1999 einen dreistelligen Milliardenbetrag erstmals erreichen werde. Für dieses Jahr sind jetzt 71,2 Milliarden Mark eingeplant, für 1998 gut 58 Milliarden und für 1999 knapp 60 Milliarden Mark.

Metzger weiter: „Jetzt kommt die Ouvertüre für den Aktionismus, der jetzt ansteht. Der Regierung steht das Wasser bis zum Hals.“ Sie werde möglicherweise auch in diesem Jahr Abzahlungen an den Erblastentilgungsfonds für DDR-Altlasten aussetzen müssen. Außerdem erwarte er, daß Waigel den bereits für 1998 beschlossenen Aussetzungsbetrag der Tilgung von 5,1 Milliarden, mit dem der Abbau des Solidaritätszuschlags finanziert werden soll, auf bis zu 15 Milliarden Mark aufstocken werde. Dabei helfe ihm die Höherbewertung der Bundesbankgewinne. Die von der Westdeutschen Landesbank (WestLB) genannte Zahl von 25 Milliarden Mark Gewinn für dieses Jahr, der überwiegend an den Bund geht, nannte er realistisch.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hält die erneute Haushaltssperre für den falschen Weg. DIW- Haushaltsexperte Dieter Vesper sagte gestern, bis Jahresende sei ein Etatdefizit von bis zu 85 Milliarden Mark zu erwarten. Vor diesem Hintergrund sei die eine Milliarde, die durch die Haushaltssperre eingespart werden könne, nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Zudem schade der Ausgabenstopp der Konjunktur, weil er vor allem öffentliche Investitionen und Beschaffungen betreffe.

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