■ Für Vorräte und Essenreste wurden sie entwickelt. Sie sind stapelbar, aus Kunststoff und sehen gut aus. Man liebt sie oder haßt sie: Tupperware. Von Andreas Hergeth: Wohin mit den Rollmopsresten?
Seit 51 Jahren wird getuppert, was das Zeug hält. Und die bislang rund 250 verschiedenen Produkte der Firma Tupperware halten lange, eigentlich ein ganzes Leben lang: Dosen und Schüsseln zum Vererben. Das Geheimnis von Tupperware? Die Parties, das Material, das Design, der Kult. Alles zum Wohl von Millionen Hausfrauen in 60 Ländern – und des Konzerns. Allein in Deutschland gibt es rund 65.000 Tupperware-Beraterinnen.
Da auf dem Sofa ist noch ein Platz frei.“ Marita, eine Frau, um Mitte 30, setzt sich. Sie begrüßt alle sieben Damen per Handschlag. Denn man kennt sich, lebt zusammen in einem mecklenburgischen Dorf, ist mit der Gastgeberin befreundet. Nur die Dame mit dem Koffer ist fremd. Die eine oder andere hat sie aber vielleicht doch schon einmal gesehen. Auf einer anderen Tupperwareparty.
Die Tupperware-Beraterin packt ihre Tasche aus, stellt einige Produkte auf den Tisch und beginnt, von den Vorzügen der Ware im allgemeinen und im speziellen am ausgewählten Stück zu sprechen: „Mit einem durchdachten Design wird die tägliche Arbeit in der Küche nicht nur schöner, sondern vor allem praktischer. Das Sieb Saladin gibt beim Schleudern des Salates das Spritzwasser nur nach unten ab.“ – Da lacht das Hausfrauenherz. Mit „Saladin“ werden die Salatblätter schön trocken, ohne daß frau selbst naß wird. „Gut sieht es auch aus“, urteilt Ute, eine weitere Teilnehmerin der Party. „Und die Farbe, dieses Grün, kommt richtig gut rüber“, stimmt Karola zu. „Saladin“ geht von Hand zu Hand, wird befühlt, zerlegt, probegeschleudert und landet schließlich wieder bei der Beraterin. Die nächste Neuheit wird vorgestellt, die Begutachtungsprozedur beginnt von neuem. Welche Verkäuferin hätte schon die Zeit, von den Vorzügen einer Tupperware-Dose beim Fischkauf in aller Ausführlichkeit und Bildhaftigkeit zu philosophieren? „Kein Kollege wird riechen können, was sie da eingekauft haben.“ So ein Argument zählt.
Nach gut einer Stunde beendet die Beraterin ihren Vortrag. Nun kann nach Herzenslust bestellt werden. Bestellt wird fast immer. Wenn die Freundin, die Nachbarin bestellt, dann will keine außen vor bleiben.
Dann packt die Beraterin ihre Sachen zurück in die Koffer. Die bestellten Frischebehälter etc. kommen spätestens 14 Tage nach der Party ins Haus. Meist trägt die Gastgeberin die Ware zu ihren Freunden und Bekannten. Ein bißchen Arbeit darf schon sein, schließlich kann sie sich als Lohn für acht Prozent des abendlichen Umsatzes Tupperware aussuchen. Die Beraterin bekommt mehr, sie verdient vom Verkauf der Dosen und Geräte aus Plaste, die je nach Modell zwischen 4,50 und 100 Mark kosten, 24 Prozent Provision.
Regina Hauf aus dem mecklenburgischen Dorf Wöbbelin ist so eine Beraterin. Die sympathische 40jährige ist seit fast sechs Jahren dabei. Im Schnitt ist sie dreimal die Wochen unterwegs. „Meist rede ich eine Stunde, dann wird bestellt, aber nicht gleich bezahlt. Das passiert erst, wenn der Kunde die Ware bekommt. Spätenstens nach zwei Stunden bin ich wieder weg.“ Mittlerweile ist die Arbeit als Tupperware-Beraterin ein Volltimejob für Regina Hauf. „Das Schöne daran ist auch“, sagt sie, „daß dabei neue Freundschaften entstehen.“ Oder sich festigen, denn wenn Regina Hauf geht, fängt die Party erst richtig an.
Schließlich bieten die mecklenburgischen Weiten seit der Wende immer weniger Kontaktmöglichkeiten. Trafen sich früher die Menschen zum Gespräch am Arbeitsplatz, im Dorfkonsum, in der Kneipe oder einfach beim Gang durch das Dorf, so sind heute viele arbeitslos, den Dorfkonsum gibt es schon lange nicht mehr, die Kneipe ist zu teuer, und man ist fast nur noch mit dem Auto unterwegs. Die Tupperwareparties bedienen mit ihrer so einfachen wie genialen Strategie der Heimvorführung das Interesse nach Gedankenaustausch. Fand dies im Westen schon regen Zuspruch, so fiel die Tupperware-„Masche“ in Ostdeutschland erst recht auf fruchtbaren Boden.
Davon profitiert die gesamte Branche, die den „Verkauf in den eigenen vier Wänden“ betreibt. Während der Einzelhandel im Land die Zurückhaltung der Kunden stark zu spüren bekommt, kaufen die Bundesbürger immer mehr zu Hause. 25 Firmen, unter anderem neben Tupperware Avon, Bertelsmann, Eismann und Vorwerk (Raumpflege), haben sich zum Arbeitskreis „Gut beraten – zu Hause gekauft e. V.“ zusammengeschlossen. Die Unternehmen erwarten in diesem Jahr einen Umsatzanstieg von rund sechs Prozent. Damit fahren alle zusammen knapp 4,8 Millarden Mark Umsatz ein. Rund zwei Millarden gehen allein auf das Konto von Tupperware. Mit dem Vertriebsweg in den „eigenen vier Wänden“ sind die Unternehmen erfolgreicher als der Handel und der Versandhandel. In den neuen Bundesländern wurde 1996 ein überdurschschnittliches Umsatzwachstum um 12,6 Prozent auf 768 Millionen Mark verbucht. Ein deutlich schnelleres Wachstum als im Westen. Die Ostdeutschen haben offenbar auch bei Frischhaltedosen etc. Nachholbedarf.
Selbst eingefleischte DDR-Nostalgiker tupperten nach der Wende. Da ist zum Beispiel die Familie Michels aus Parchim in Mecklenburg. In ihrem Haushalt dominieren Möbel und Einrichtungsgegenstände aller Art aus DDR-Tagen. Neues, also westdeutsche Waren, gibt es kaum. Nur der Kühlschrank ist neu, weil er seinen Geist aufgab und nicht mehr zu reparieren waren. Alles, was (bis auf Nahrungsmittel, die müssen sein) aus der westdeutschen Konsumwelt kommt, ist den Michels suspekt. Mit einer einzigen Ausnahme: Die Hausfrau hat „einige dieser tollen neuen Frischhaltedosen gekauft, diese, na, wie heißen die noch mal...?“
Tupperware, ein – vielleicht das einzig wahre? – verbindendes Moment der deutsch-deutschen Haßliebe. Ordnung lieben schließlich fast alle Ost- wie Westdeutschen. Und tuppern schafft nun mal Ordnung in der Küche. Ein bißchen steril vielleicht, aber wem's gefällt...
Tupperware ist ein Phänomen. Kult – und doch Alltagsgegenstand. Ein langlebiger dazu. Mit Tupperware sind ganze Generationen aufgewachsen. Schüsseln und Dosen zum Vererben eben. Wenn Mutti schon tupperte, wird das wahrscheinlich auch die Tochter tun, und deren Tochter.
Und tuppern steckt an. Vielleicht gibt es ja doch einen Tupper-Virus? „Krankheitsgeschichten“ beginnen meist wie folgt:
Wenn man einmal auch nur eines dieser kleinen Werbegeschenke in die Hände bekommt, den Rest aus der Fischdose darin aufbewahrt oder einmal erlebt hat, wie frisch sich die angeschnittene Leberwurst auch noch nach Tagen präsentiert, dann, ja dann, gehört frau (und Mann) ganz unfreiwillig zur Schar der Tupperware-Jünger. Egal, was Kritiker sagen. Auch wenn Verbraucherzentralen stets wiederholen, daß die Produkte von Tupperware und anderen Firmen mit Heimvertrieb „auch nicht besser als andere sind.“ Mit einem Unterschied, so Heike van Laak von der Stiftung Warentest über Tupperware & Co: „Die meisten sind viel teurer.“ Doch die Kritik ficht Tupperware-Fans nicht an. Niemand wird zum Kauf gezwungen, wenn der Gruppenzwang mal außer acht gelassen wird.
Bei Tupper kauft das Auge mit. Beides stimmt: Form und Funktion. Dr. Hans Adelmann, Geschäftsführer der Tupperware Deutschland GmbH, nennt Tupperware gar ein „demokratisches Produkt“, weil „erschwinglich, täglich im Gebrauch, nie enttäuschend, unkompliziert und formschön“. Außerdem werden die Umwelt geschützt und die Ressourcen geschont. So einfach ist Demokratie also.
Dazu paßt, daß die Kundinnen ernst genommen werden: Jahr für Jahr präsentieren die weltweit rund eine Millionen Beraterinnen Innovationen und kehren zugleich mit Anregungen für neue Produkte von den Tupperparties zurück. Kein Hausfrauenproblem, für das es nicht einen passenden Behälter geben würde, er muß nur entwickelt und produziert werden. Auf diese Weise wird das Sortiment ständig erweitert. Den Nutzen hat vor allem der Konzern.
„Das Einfache perfektionieren“, schreiben die Macher des Katalogs zur gerade zu Ende gehenden Tupperware-Ausstellung im Essener Design Zentrum Nordrhein-Westfalen, die Tupperware als einen Teil unseres Alltagslebens mit Kultstatus zeigte. „Gutes Design“, sagt Professor Dr. Peter Zec, geschäftsführender Vorstand des Design Zentrums, „zeichnet sich dadurch aus, daß es erfolgreich ist.“ Noch Fragen?
Am heutigen Sonnabend übrigens besuchen Tupperware-Beraterin Regina Hauf und siebzehn ihrer Kolleginnen die Ausstellung. Die für besonders fleißige Beraterinnen gedachte Reise ist mit einem Musicalbesuch verbunden. Eine Idee von Sylvia und Wolfgang Lorenz, die seit 1991 die erste Bezirkshandlung (heute sind es allein drei in Mecklenburg-Vorpommern) von Tupperware in Wöbbelin betreiben. Rund 300 Beraterinnen decken sich hier mit ihren Waren ein. „Im Schnitt verdient eine Beraterin rund 640 Mark“, erklärt Wolfgang Lorenz und kann sich eins doch nicht erklären. „Wir suchen jederzeit weitere Beraterinnen, aber finden einfach nicht genug.“ Die Gründe mögen unterschiedlicher Natur sein. Aber auch im Land mit einer der höchsten Arbeitslosenquoten scheuen viele Frauen einen Versuch. „Sie hätten nichts zu verlieren“, unterstreicht Sylvia Lorenz, wer tuppern probiert und es nicht mag, läßt es wieder sein. Wer Gefallen findet und engagiert ins Geschäft einsteigt, kann „1.000 Mark im Monat verdienen“, weiß Wolfgang Lorenz. Und wer „fleißig ist, bringt es sogar auf 3.000 bis 4.000 Mark“.
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