: Der Lachsgeist geht auf Reisen
Junge Indianer werden zu Hotelfachkräften augebildet, andere fahren Urlauber zur Walbeobachtung. Lachs in allen Variationen auf der Speisekarte: Wie aus indianischen Fischern an der Westküste Kanadas Ökotourismus-Anbieter wurden ■ Von Clemens Ludwig
Waatla Waa hält ihr Bild gegen die Sonne. Ihr Blick ist besorgt. Dann setzt sie sich auf die Treppe ihres Holzhäuschens. Im Garten stapelt sich Gerümpel jeglicher Art, die Kinder lassen achtlos ihre Fahrräder liegen. Sie schaut auf den ausrangierten Truck, der keine Räder mehr hat, und lacht verschmitzt vor sich hin: „Wenn die Touristen das wüßten ... Der Truck ist vollgeladen mit indianischem Silberschmuck. Ich weiß nicht wohin damit, bei mir im Haus ist kein Platz.“ Doch dann verdunkeln sich wieder ihre Augen. Waatla Waa ist Künstlerin und Häuptlingsfrau der Nuu-chah-nulth, einem Indianervolk der Westküste Kanadas.
Ihr Blick lenkt sich wieder auf ihr Bild. Sie erklärt: „Die Zedernfrau beschützt die Bäume und alle anderen Lebewesen des Waldes. Sie ist ein übernatürlicher Geist. Die Zedernfrau weint, weil der Wald so rücksichtslos abgeholzt wird. Die uralten Bäume beschützen uns, die Lachslaichflüsse, die Adlernester, die Killerwale, welche alle Brüder der Menschen sind. Ihre Hände legen sich schützend um Meares Island und die Indianerhäuser von Opisaht“, erzählt sie.
Die Nuu-chah-nulth sind ein Volk der Fischer. Waren es zumindest. Inzwischen können sie sich vom Fischfang nicht mehr ernähren. Der Lachsfang hat so überhand genommen, daß die Fischgründe beinahe leergefischt sind. Schuld daran sind die kommerziellen Fischer, weiße wie rothäutige, die die Fangquoten ganz ausschöpfen oder sie sogar mißachten, um noch mehr zu fangen. Dem boten die Häuptlinge vor drei Jahren Einhalt: Sie untersagten jegliche Lachsfischerei, selbst das sogenannte „food-fishing“ für den täglichen Nahrungsbedarf.
Lachs ist Hauptnahrungsmittel und wird in vielen verschiedenen Arten zubereitet. Besonders beliebt sind die Fischköpfe, welche eine köstliche Suppe abgeben. „Nichts für euch Europäer“, kichert Waatla Waa. Vor rund 150 Jahren kamen die ersten Siedler. Das Zusammenleben mit den Indianern war friedlich, viele arbeiteten Seite an Seite in den Fischkonservenfabriken. Doch es zogen immer mehr Menschen nach, das Land wurde besetzt und die Fischreichtümer wie selbstverständlich ausgebeutet. Die Kultur der Nuu- chah-nulth ist eng mit dem Meer verwoben, und somit ist die wirtschaftliche Einschränkung auch immer ein soziokultureller Verlust. Vom Fischfang stiegen viele Indianer auf das Tourismusgeschäft um.
Moses Martin beispielsweise. Er hat ein kleines „whale-watching- business“, das er zusammen mit einem seiner Söhne und dessen Frau betreibt. Sein kleines Boot nimmt Touristen zur Walbeobachtung. Zusammen mit einem Schweizer Ehepaar und einem Rentner steigen wir ein die „Orca IV“. Eine Tour dauert vier bis sechs Stunden. Gemächlich tuckern wir los und lassen das Fischerdorf Tofino hinter uns. Die Wasserstraße führt an zahllosen kleinen bewaldeten Inseln, an einsamen, sandigen Buchten und felsigen Küsten vorbei. Rechts von uns sehen wir in der Ferne einige Holzhäuser. Es ist eines der Indianerdörfer der Nuu-chah-nulth, die nur per Boot oder Wasserflugzeug zu erreichen sind.
Auf der Fahrt zu der Bucht, in der er vier Grauwale vermutet, erzählt Moses Martin, daß er und seine Familie vom Fischreichtum der Pazifikküste jahrzehntelang gelebt haben. Doch schließlich fingen sie so wenig, „daß ich meine Bankschulden nicht mehr bezahlen konnte. Die Lizenz für den kommerziellen Lachsfischfang kostet 80.000 Dollar, mein Boot kaufte ich für 120.000 Dollar. Diese eine Lizenz reichte nicht aus, um meine Schulden zu bezahlen. Ich mußte mein Boot verkaufen, die Lizenz bringt mir jetzt nichts mehr.“
Sein Schicksal ist kein Einzelfall. Früher verfügte sein Stamm über 40 Fischerboote. Jetzt gibt es nur noch fünf. Viele haben nicht das nötige Geld, um weitere Lizenzen zu erwerben und ihre Boote zu modernisieren. „Mein indianischer Name Noo-ka-ta-chilt spielt eine sehr wichtige Rolle in meinem Leben als Fischer, er ist sozusagen mein Gewissen. Er bedeutet, daß ich nur einmal zur See auslaufen darf, um nur soviel zu fangen, wie ich selbst benötige. Als kommerzieller Fischer hätte ich oft die Möglichkeit gehabt, illegal zu fischen, aber mein Name hat mich davor bewahrt“, berichtet er.
Schuld an der katastrophalen Lage der Fischerei sind nicht allein die kommerziellen Fischer, sondern auch eine rücksichtslos betriebene Forstwirtschaft. Jahrzehntelanger Kahlschlag hat ökologischen Folgen. Die Straßen für die Laster und Maschinen der Holzfällercrews wurden mit Vorliebe an Flußufern angelegt. Aber unbefestigte Straßen sind häufig Auslöser für Bodenerosionen. Der Regen spült Erde in die Bäche und Flüsse und verunreinigt sie. Allerlei Steine, Geröll und umgefallene Baumstämme versperren die Gewässer. Alljährlich kehren die Lachse in diese Bäche zurück, in denen sie selbst geboren wurden, um ihren Laich abzulegen. Durch die verunreinigten Flüsse gelangen sie aber meist kaum weit genug den Flußlauf hinauf, um dort in ruhigem Gewässer zu laichen. Das verringert die Überlebenschancen der Jungfische. Aber selbst wenn die Weibchen an ihren eigentlichen Laichplatz gelangen, versperren Steinbrocken und Erdreich den jungen Fischen den Weg zum Ozean, und schließlich verenden sie in den Bächen während der Trockenzeit.
Die Indianer hielten aus diesem Grunde die Lachslaichflüsse immer sauber, durchforsteten sie nach einem Sturm auf umgefallene Baumstämme oder Felsbrocken und räumten sie den Fischen aus dem Weg. Auch das ökologische Bewußtsein in der Forstindustrie ist gewachsen, und nun darf im Uferbereich im Umfeld von einer Baumlänge (das entspricht etwa 80 Metern) weder Holzeinschlag betrieben noch eine Straße gebaut werden. Aus unserem Boot haben wir Ausblick auf eine endlose Weite, am Horizont die Bergsilhouetten von Vancouver Island. Über uns ziehen Seeadler ihre Kreise, vereinzelt fliegt ein Rabe über uns her und unterbricht das Geräusch der gegen den Bug peitschenden Wellen mit einem krächzenden Schrei. Je weiter wir hinausfahren, desto bewegter wird die See. Moses schaltet das Funkgerät ein, um Verbindung mit der Walbeobachtungsstation des Clayoquot Biosphere Project aufzunehmen. Diese Nichtregierungsorganisation erforscht seit mehreren Jahren das Verhalten der Wale. Seit einigen Tagen halten sich vier Grauwale in der Cow Bay von Flores Island auf. Auch diese Insel wird seit Jahrtausenden von Indianern bewohnt, dem Stamm der Ahousahts. In dieser Bucht scheinen die Wale besonders viel Nahrung zu finden, denn sonst wären sie schon weitergezogen.
Endlich sichtet Moses einen Wal. Er steuert auf ihn zu. Plötzlich sehen wir in 100 Metern Entfernung den Wasserstrahl, der aus dem Atemloch auf dem Walrücken spritzt. Kurz darauf zeigt er uns seinen grauen Rücken. Die Kameras surren. Auf der anderen Seite entdecken wir den zweiten Wal, nur einige Meter entfernt. Er taucht gemächlich auf, dann wieder unter und zeigt am Schluß seine breite Flosse. Moses gibt zu verstehen, daß dieser Wal „Curly“ heißt, weil er immer seine Schwanzflosse zum besten gebe. Die Flosse ist der Fingerabdruck des Wals, jede ist einzigartig, und an ihr kann man jedes Tier wiedererkennen, was für die Forscher besonders wichtig ist.
Tin Wis heißt die Unterkunft, in der wir wohnen. Vor erst anderthalb Jahren wurde dieses Hotel gebaut, und zwar von dem Tla-o-qui- aht-Stamm, der zu den Nuu-chah- nulth gehört. Schon wenn man mit dem Wagen vorfährt und in die Lobby kommt, spürt man die besondere Atmosphäre. An der Rezeption sitzt ein Indianer, meist trägt er ein T-Shirt mit dem Tin- Wis-Logo, einer indianischen Seeschlange. Dieses Logo ist auch in die Fenster eingebrannt und auf die Tischdecken und Servietten gestickt. An den Wänden der Lobby sowie in den komfortablen Zimmern hängen Siebdruckbilder mit traditionellen Indianermotiven. Leise, meditative Musik regt zum Entspannen und Nachdenken an. Beinahe das ganze Personal besteht aus Stammesmitgliedern der Tla-o-qui-aht. Junge Indianer werden zu Hotelfachkräften ausgebildet. Natürlich gibt es im Restaurant hervorragenden Lachs in all seinen Variationen. Die meisten Touristen lassen es sich ohne schlechtes Gewissen schmecken und genießen den wunderbaren Blick durch die Fenster des Wintergartens auf den Strand, der von einzelnen Zedern umgeben ist. Schließlich wissen die wenigstens von ihnen, daß ein Indianerstamm seit drei Jahren freiwillig auf den Fischkonsum verzichtet, um auf die schnelle Vermehrung der Lachse zu hoffen. Der Tourismus ist auch Motor für andere Wirtschaftszweige, so zum Beispiel für die vielen Kunstgalerien, in denen Holzschnitzereien, Siebdrucke, bemalte Trommeln und Masken, Silberschmuck und viele andere Kunstgegenstände erworben werden können. Die Westküstenindianer haben ihre Kunst wiederentdeckt, und das stärkt seitdem das kulturelle Bewußtsein der Nuu- chah-nulth. Ebenso wie Waatla Waas Bild, das von der Zerstörung der Zedernbäume und der Lachse handelt...
Tourismusinformationen:
Anreise nach Tofino über Vancouver – mit der Fähre nach Nanaimo – mit dem Auto oder Bus über Port Alberni nach Tofino (Tagesfahrt).
Eine Übernachtung im Tin Wis Resort Lodge (Doppelzimmer) kostet in der Hauptsaison (Mai bis September) 115 CanDollar. Kinder unter zwölf Jahren wohnen kostenlos.
Im Nuu-chah-nulth Booking Center sind die meisten Tourismusaktivitäten indianischer Anbieter vertreten. Es gibt Flüge mit einem Wasserflugzeug, das die Passagiere auf Wunsch mitten in der Wildnis absetzt und nach einigen Tagen wieder abholt. Außerdem: Tagestouren zu heißen Quellen sowie die Möglichkeit, Tauchen und Fischen zu gehen. Etwas ganz Besonderes ist der „Rain Forest Spirit Walk“ für zirka 70 Dollar pro Person. Mit dem Boot geht es auf die Indianerinsel Ahousaht, ein indianischer Führer leitet die Gruppe durch das Dorf, durch den Wald an die Strände. Er erklärt dabei kulturelle Besonderheiten der Nuu-chah- nulth . Die Tagestour wird mit einem Besuch in der Kunstgalerie des Dorfes abgeschlossen.
Nuu-chah-nulth Booking and Information Center, Box 453, Tofino, B.C., Canada VOR 2ZO,
Tel.: 725 28 88,
Toll-free: 1 800 665 94 25,
Fax: 604 725 288 89.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen