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Grüne, aufgepaßt! Von D. Reiche und C. Krebs

1990 redeten alle von Deutschland, und die Grünen redeten vom Wetter. Das Ergebnis ist bekannt. Wenn diesmal alle vom Standort Deutschland, von Innovation und den Chancen der Globalisierung reden, wollen die Grünen nicht abseits stehen. Die Umwelt muß deshalb auf ihrem Ratschlag Wirtschaft, der an diesem Wochenende in Hannover den Entwurf des Bundestagswahlprogramms zur Diskussion stellt, draußen bleiben. Keines der Foren beschäftigt sich mit dem einst einmal liebsten Kind der grün-alternativen Bewegung und Partei. Dafür war letzte Woche eine gesonderte Veranstaltung in Berlin zuständig, sorgfältig von den harten Themen wie Wirtschaft, Arbeit und Soziales getrennt.

Lieber wird eine Studie kolportiert, nach der nur noch sechs Prozent der grünen Wähler Umweltschutz als wichtigstes Thema ansehen. Im Bundestagswahlkampf gehe es um Arbeit, Arbeit, Arbeit. Die Forderung nach einem Spritpreis von fünf Mark sei zu entschärfen, meint mancher grüner Abgeordneter, die Umweltpolitik sei nicht in den Mittelpunkt zu stellen. Nur: Geht es tatsächlich um die Frage Arbeit oder Umwelt? Wer über Umweltschutz nicht mehr reden will, sollte von Nachhaltigkeit schweigen. Das neue Leitbild, das die Grünen wie eine Monstranz vor sich herschleppen, meint eine Politik, die den Bedürfnissen von Wirtschaft, Umwelt und sozialer Gerechtigkeit gleichermaßen Rechnung trägt.

Es geht um die Suche nach einem Projekt, das beim Gerangel um wirtschaftspolitische Kompetenz hilft und dem ökologisch Gebotenen gerecht wird. Was eignete sich besser als die ökologische Steuerreform – als Herzstück einer rot-grünen Alternative?

Die Struktur des Steuersystems umschichten, indem der Faktor Arbeit entlastet und der Umweltverbrauch verteuert wird, gehört in den Mittelpunkt des bündnisgrünen Wahlkampfs. Erstens, weil es sachlich ein richtiges Konzept ist. Mehr Arbeit und weniger Umweltzerstörung lautet dabei die Botschaft. Sinken die Lohnnebenkosten, nimmt der Rationalisierungsdruck ab, und der Anreiz steigt, neue Jobs zu schaffen. Der Umweltverbrauch hingegen sinkt, was angesichts von Erderwärmung, Ozonloch und Flächenverbrauch mehr als ein angenehmer Nebeneffekt ist. Zweitens eignet sich das Projekt ökologische Steuerreform vor allem deshalb als zentrales Wahlkampfthema, weil so neue Bündnispartner gewonnen werden können. Denn beim Projekt ökologische Steuerreform geraten alte Frontstellungen zwischen Kapital, Arbeit und Umwelt ins Wanken. Die Gewinner in der Unternehmerschaft sind in Branchen vorzufinden, die mit wenig Energie und hohem Arbeitsaufwand produzieren.

Einige Energie-Dinos bleiben – früher oder später – ohnehin auf der Strecke, während die Mehrheit kleiner und mittlerer Unternehmen, so die jüngste Studie vom DIW und IÖW, Profiteure einer ökologischen Steuerreform sind. Die Einzelgewerkschaften wie IG Metall, ÖTV und IG Bauen-Agrar-Umwelt freuen sich schon längst, daß Kilowattstunden und Kubikmeter und nicht länger Menschen arbeitslos werden sollen. Und die einst gegenüber marktkonformen Instrumenten skeptischen Umweltverbände haben einsehen müssen, daß Umweltpolitik nur schlagkräftig wird, wenn Steuern und Ordnungsrecht kombiniert werden.

Grüne, warum versteckt Ihr das Thema ökologische Steuerreform auf gerade einmal einer dreiviertel Seite in Eurem 66 Seiten umfassenden Programmentwurf? Warum stellt Ihr es nicht vorne an? Endlich hat die politische Linke wieder ein gemeinsames Projekt. Ob Günter Grass oder Ulrich Beck, alle begreifen die ökologische Steuerreform als zentralen Hebel zur Veränderung. Nicht zuletzt, um im Zeitalter der Globalisierung die hochgradig arbeitsteiligen Wirtschaftskreisläufe wieder stärker zu regionalisieren und staatliche Handlungsspielräume zurückzugewinnen.

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