: „Ich brauche nur einen Ton...“
■ Begegnung mit dem eigenwillige Minimalismus der Britin Rebecca Saunders heute abend beim Bremer Podium
Energiegeladene Stille, extreme und überraschend unverbundene Klänge, Musik, die sich keiner Tradition und keiner theoretischen Konstruktion zu verdanken scheint: in diesem Sinne fiel voriges Jahr bei den Wittener Tagen für Neue Kammermusik eine deutsche Erstaufführung auf: „Crimson. Mollys Song 1“von Rebecca Saunders, die sich heute abend beim Bremer Podium dem Publikum vorstellt. „Musik ist eine Bauchsache“, sagt die dreißigjährige Komponistin, und sie ist entschlossen, Musik zu schreiben, die „wirkt, die direkt ist“. Ihre ganze Familie macht Musik, sagt sie, ihre Großeltern, ihre Tanten und Onkels, ihre Eltern und Geschwister sowieso. „Es war für uns selbstverständlich, sich in Musik zu äußern“, weswegen sie, die schon als Kind komponiert hat, auch als Frau keinerlei Probleme mit diesem Beruf verspürt. „Ich merke aber, daß die kommen“. Bis dahin allerdings will sie sich zu diesem Thema nicht äußern, meint die Engländerin, die jetzt freischaffend in Berlin lebt. Der Busoni-Förderpreis der Akademie der Künste 1995 in Berlin und der Ernst von Siemens-Förderpreis 1996 sind die bisher wichtigsten äußerlichen Ehrungen.
Die ausgebildete Geigerin – Konzertmeisterin des Edinburgh University Chamber Orchestra – kannte die deutsche Avantgarde kaum, bis sie ein Stück von Wolfgang Rihm elektrisierte: sie ging für ein dreijähriges Studium zu ihm. Um welches Stück es sich dabei gehandelt hat, weiß sie nicht mehr, Wolfgang Rihm jedenfalls brachte ihr Selbstvertrauen und Mut zum Weiterschreiben bei: „Das ist das Wichtigste überhaupt, das ist viel wichtiger als Techniken“. Sie will keinen Stil, keine Methode: „Ich brauche nur einen Ton“. Der Italiener Giacinto Scelsi hat das gemacht, auch John Cage zum Beispiel. Hat Saunders von ihnen gelernt? „Ich weiß nicht, wo es herkommt. Es ist in mir.“Nichtsdestotrotz hat sie ihr Studium 1994 mit Auszeichnung abgeschlossen. Auch für das heute abend erklingende Klarinettentrio sieht sie keinen Bezug zu großen Werken dieser Gattung: dem Klarinettentrio von Mozart oder dem von Brahms. Ihre Bezüge zur Literatur – in diesem Konzert Mollys Song, der Schlußmonolog der Molly aus Joyces Ulysses – und zur Malerei sind nicht grundsätzlicher Art, sie verarbeitet gerne spontane Erlebnisse, warum dann nicht einen Text oder ein Bild. Beim Komponieren, sagt sie, fasse sie Klänge und Geräusche mit den Händen an, wiege sie, spüre ihre Potentiale zwischen den Handflächen“. Wie, bitte, muß man sich denn das vorstellen? Da muß sie lachen: „Es ist natürlich nur ein Bild, was mein Bedürfnis nach Intensität fassen soll.“
Ute Schalz-Laurenze
Heute um 17.30 Bremer Podium mit Rebecca Saunders, um 20.30 Konzert mit Werken von Rebecca Saunders, beides im Sendesaal von Radio Bremen. Ensemble MusikFabrik, Leitung: Diego Masson
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