: Der Haß, die Gier, die Liebe & der Tod
Kein Sam Fuller mehr. Schlimmer noch: Keine Sam-Fuller-Filme mehr. Ein Nachruf auf den Hollywood-Regisseur ■ Von Georg Seeßlen
Samuel Fuller ist tot. Das ist der Punkt hinter dem Satz: Das Kino ist tot. Eine Art von Kino, das seine Geschichten erzählt, weil sie auf der Straße liegen. Völlig wahnsinnig und völlig wahrhaftig. Es war ein langes Sterben. Und alle Filme, die Samuel Fuller gedreht hat, und noch mehr jene Filme, die er nicht oder nicht zu Ende hat drehen können, beschreiben ein Stück dieses Sterbens, beschreiben ein Schlachtfeld, auf dem die seltsamsten Dinge geschehen können, die Gewalt, die Gier, der Wahn, die Liebe. Nur eines ist sicher: der Tod.
Immer mit dem Gesicht im Dreck
In Jean-Luc Godards „Pierrot le fou“ sagt Samuel Fuller, nach dem Wesen des Films befragt, langsam, Wort für Wort abwägend, einen verhängnisvollen Satz: „Ein Film ist wie ein Schlachtfeld, auf dem sich Liebe, Haß, Action, Gewalt und Tod abspielen... Mit einem Wort: Emotionen.“
Seitdem ist kaum etwas über Fuller geschrieben worden, ohne daß dieser Satz zitiert würde. Der Satz erklärt alles und sagt vorderhand einmal gar nichts. Denn wie alle wichtigen Sätze ist er nur der Stein, den man ins Wasser wirft, um die Wellen zu beobachten.
Dabei darf man den Satz für Samuel Fuller auch ganz biographisch nehmen. Denn es gibt nur drei Erfahrungen, drei fundamentale Themen, aus denen alle Filme von ihm zusammengesetzt sind: Die erste ist der Krieg, den Fuller in Afrika, Italien und Deutschland als Infanterist, das Gesicht fast immer im Dreck, mitgemacht hat. Deshalb hat er nicht nur immer wieder Filme über diesen Krieg gedreht – als letztes den zugleich autobiographischen und wahnhaft metaphorischen „The Big Red One“, sondern auch in seinen Western wie „Forty Guns“ oder Kriminalfilmen wie „Pick Up on South Street“ Elemente des Kriegsfilms verwendet. Bei Fuller stellt sich eine Frage wie die, ob man für oder gegen den Krieg sei, nicht einen Augenblick; man ist mitten drin und hat keine andere Wahl, als den Feind zu hassen und mit denen zusammenzuarbeiten, die einen, zum Beispiel daheim, als Nigger beschimpfen und dir nur die hinteren Plätze im Bus lassen.
Die zweite Erfahrung für Fullers Filmarbeit ist seine Arbeit als Reporter. Fullers Filme funktionieren am ehesten wie Zeitungsartikel; sein Western „I Shot Jesse James“ zum Beispiel ist die Verfilmung eines Zeitungsartikels und widerspricht vehement der melancholischen Aufforderung am Ende von John Fords „The Man Who Shot Liberty Valance“. Fuller gibt nicht die Legende wieder, sondern die nackte Wahrheit. Die tut weh und führt zu nichts, aber sie ist alles, was man gegen den Wahnsinn der Welt ins Feld schicken kann. Sam Fullers Filme sind pure Pulp Fiction, verrückte Geschichten von Liebe, Mord, Verschwörung und Schuld. Aber ihr Material ist nichts anderes als die Wirklichkeit.
Das dritte Element in Fullers Filmen ist seine Haßliebe zu Amerika, die mit einer harten Jugendzeit in den Straßen New Yorks begann und Fullers Helden später wie eine große, ungelöste Frage begleitet: Was ist das, ein Amerikaner sein? Er hat schon lange bevor es Mode wurde, den Rassismus, die Ausbeutung, die Leere der Konsumwelt beschrieben. Aber zugleich auch die Sehnsucht nach einem Amerika, in dem die Kulturen, Rassen und Klassen miteinander leben können. Der Wahn, der Fullers Helden früher oder später ergreift, stammt aus dem Verfehlen dieser Utopie. Im Far West, im Weltkrieg, in der Jagd nach dem Glück in den Großstadtstraßen, in den Liebesgeschichten, die immer dort ihr abruptes Ende finden, wie Fuller sagt, wenn Geld ins Spiel kommt.
Ein langer Abschied von Amerika
Die Geschichte von Leben und Werk des Samuel L. Fuller ist nichts anderes als ein langer Abschied von Amerika, das keinen Reporter seines inneren Wesens in seiner Traummaschine dulden wollte. Wundervolle, genaue und böse Filme wie „Riata“ oder „Shark“ wurden verhindert oder zerstört. Wir können nur ahnen, welche Filme noch in ihm steckten und nicht verwirklicht werden konnten. Wer „Run of the Arrow“, „Shock Corridor“ oder „Verboten!“ gesehen hat, der weiß, daß es die Grenzen im Genre-Kino, die heute so effektvoll von jüngeren Filmemachern überschritten werden, in Wahrheit nie gegeben hat.
Samuel Fullers Filme sind ungeheuer schnell, weil sich in ihnen alles als Aktion, physische Bewegung zeigt. Zugleich ist er für seine langen Einstellungen berühmt geworden. „Verboten!“ hat weniger als hundert Einstellungen, und mit fünfeinhalb Minuten Länge war Fuller damals Rekordhalter der Plansequenz, sieht man einmal von Hitchcocks „Rope“ ab. In „Park Row“ verfolgt die Kamera ohne Schnitt einen Mann, der zuerst eine Prügelei besteht, die sich von einem Lokal auf die Straße verlagert, dann hat er eine Auseinandersetzung mit einer Frau und gelangt schließlich zu einem Standbild von Benjamin Franklin. In einer einzigen Aufnahme hat Fuller also die drei Grundelemente seiner Stories verbunden: den Kampf, die (verfehlte) Liebe und die Politik (den Traum von Amerika).
Die Eröffnungseinstellung von „Forty Guns“ beschreibt Fuller so: „Ich sitze auf einem hohen Kran und fahre runter mit ein paar Typen, die eine Treppe runtergehen. Sie treffen einen anderen Typ, zusammen gehen sie und reden. Schließlich gehen sie in eine Post. Einer von ihnen schickt seinem Vater ein Telegramm. Sie kommen wieder aus der Post und hören ein Geräusch. Dann schwenke ich, und man sieht Barbara Stanwyck und vierzig Typen zu Pferd heranreiten. Ich gehe gerade so weit zurück, daß Stanwyck und die Typen zwischen uns und der Post durchkommen. Staubwolke usw. Und wenn die Pferde vorbei sind, bin ich wieder genau vor den Typen, mit denen ich angefangen habe.“ Auch hier enthält diese eine Einstellung bereits die Grundkonstellation der Handlung; sie hat, anders gesagt, das Schlachtfeld definiert. In „House of Bamboo“ sind die durch die Action zerfetzten Papierwände japanischer Häuser Zäsuren, die den Schnitt zum Teil ersetzen...
Ach, man könnte stundenlang über Einstellungen und Auflösungen bei Fuller sprechen; er war ein großmäuliger Zigarren paffender, weiser, humorvoller, verrückter, dissidenter Buddha, der writer director und Grenzgänger, ein Lehrmeister des Kinos, von dem nur allzu wenige wirklich gelernt haben.
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