: Gänsehaut auf dem Saxophonblatt
■ Sam Brown taucht wieder aus der Versenkung auf und ist much better than ever
Irgendwie war sie in der Versenkung verschwunden: Sam Brown, die englische Soulstimme, deren Hit „Stop“ihr mit dem gleichnamigen Album 1986 auch zum Verhängnis wurde. Festgelegt auf das Image des erotischen Vamp-Weibchens, einem singenden Monroe-Verschnitt, ging ihre Kreativität in der Promotion von AM-Records unter. Jetzt ist die gebürtige Schottin „back again“, und unter gleichnamigem Titel tourt sie durch Deutschland, um ihre neue CD „Box“vorzustellen. Mit ihrer „Spasma Band“beehrt sie vorwiegend kleine Clubs wie jetzt das „Roots“bei Oldenburg.
Sam Browns neue Songs haben viel mehr Druck als die vorwiegend liebesschmerzdurchtränkten Balladen von „Stop“, doch das balladenhafte Irgendwo zwischen Rock, Soul, Gospel und Blues bleibt ihr Stil. Und sie beherrscht die Klaviatur der Stimmungen perfekt, findet stets die richtige Klangfarbe, aber mit mehr aggressiver Substanz. Ist ja auch viel passiert in den letzten Jahren: 1993 produzierte die Musikerin im Alleingang das Album „43 Minutes“, sie sammelte Tour- und Banderfahrung mit Barcley James Harvest und Pink Floyd. Außerdem: Die jetzt 33jährige Sam Brown ist zweifache Mutter, sie schert sich nicht mehr ums Business, spielt mit ihrem Image.
Verpaßte Einsätze löst sie humorvoll auf: Ausgerechnet beim Hit „Stop“findet sie den Anfang nicht, setzt die Stimme einfach nackt in den Raum, setzt neue Akzente in Timing und Interpretation und – persifliert sich selbst. Sie wirbelt am E-Piano, erfrischend unkonventionell.
Davon ist das Zusammenspiel mit der Band geprägt. Sam Browns Bruder Pete, der auch für die Songs mitverantwortlich zeichnet, bringt die Gitarre mit rhythmischen Slides nach vorne. Mit „They're the ones“, einem der neuen Stücke, gelingt eine Fusion von Sam Brown und Beatles, die druckvoll treibt und zeitweise psychedelische Bilder aufflammen läßt. Die Seventies stehen Pate, und auch Sams Outfit spricht für diese Liebschaft: Batikleidchen und Schnürstiefel.
Die schwellende Hammond-Orgel ist ein Muß in diesem Sound: Claire Nicolson setzt an Orgel und Keyboards virtuos mal Klangteppiche, mal rhythmische Passagen. Sie hält die Band zusammen: Stöpselt hier, gibt da Anweisungen an den Mixer, greift auch noch zur Gitarre, singt einen glockenklaren Background zu Sam Browns rauhem Sopran. Ihre Stimme kriecht in die Körper, schwingt angerissen wie ein angeblasenes Saxophonblatt, das im Atem vibriert – ein Abend für wohlige Gänsehautschauer. mig
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