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Gemeinden sollen Jobs für alle bieten

Eine Dienstverpflichtung arbeitsfähiger Sozialhilfeempfänger fordert nicht nur die CDU. Auch Schröder und Lafontaine setzen sich dafür ein, daß die, die Leistung vom Staat wollen, künftig arbeiten müssen  ■ Aus Berlin Annette Rogalla

Berlin (taz) – Der Großversuch findet derzeit in Leipzig statt. In der einstigen Stasizentrale residiert die größte kommunale Beschäftigungsgesellschaft Deutschlands, bfb. Jeder, der einen Antrag auf Sozialhilfe stellt und arbeitsfähig ist, hat sich bei der bfb „zu Aufnahme von Arbeit“ zu melden. Wer nicht erscheint, verwirkt sein Recht auf Stütze.

Ein Drittel der 4.500 Arbeiter und Angestellten der bfb sind Sozialhilfeempfänger. Auf ein Jahr werden sie sozialversicherungspflichtig angestellt, zu einer Tarifgruppe, die im Monat rund 1.500 Mark netto einbringt. Allmorgendlich ziehen die grün und blau eingekleideten Trupps vom Werkhof, entschlammen Teiche, malern Schulwände weiß, jäten Parks oder bepflanzen Höfe. „Die öffentliche Arbeit genießt ein hohes Ansehen“, sagt Matthias von Hermanni, Chef der bfb.

Daß immerhin 37 Prozent der Antragsteller die Arbeit nicht aufnehmen, hält Hermanni für wenig verwunderlich. „Vielleicht sind es unverheiratete Freundinnen reicher Männer, die sich wegen der Sozialhilfe die Finger nicht schmutzig machen wollen.“ Sicherlich gebe es auch viele, die nebenbei noch einen oder mehrere 520-Mark-Jobs hätten. Auch Jugendliche, die gezielt von Sozialamt zu Sozialamt quer durch die Republik zum Abzocken ziehen, seien unter den Arbeitsverweigerern und natürlich auch solche, die einfach nur „faul sind“.

In Lübeck, wo ebenfalls alle Antragsteller auf Sozialhilfe zur Arbeit verpflichtet werden, lassen 27 Prozent ihren Antrag fallen. In Osnabrück verzichteten in den vergangenen zwölf Monaten 400 Antragsteller von sich aus auf die Hilfe, nachdem sie die Aufforderung zu gemeinnütziger Arbeit erhalten hatten.

Indizien für zunehmenden Sozialmißbrauch? Udo Neumann vom Institut für Sozialberichterstattung und Lebenslagenforschung hält Zweifel für angebracht. Ihm sei keine wissenschaftliche Untersuchung dieser Frage bekannt.

Der Soziologe schätzt, daß bei etwa zehn Prozent der Anträge auf Sozialhilfe Mauschelei oder Betrug im Spiel ist. Das entspricht etwa einem Schaden von jährlich rund fünf Milliarden Mark. „Nicht sonderlich viel, bedenkt man, daß dem Staat rund 130 Milliarden Mark jährlich durch Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit vorenthalten bleiben, wie die deutsche Steuergewerkschaft schätzt.“ Zudem, so Neumann, habe eine Untersuchung seines Instituts ergeben, daß allein in Brandenburg auf zehn Sozialhilfeempfänger neunzehn Anspruchsberechtigte kommen. „Viele stellen erst gar keinen Antrag, aus Scham, als Armer erkannt zu werden.“

Daß viele Menschen ihren Antrag auf Sozialhilfe zurückziehen, weil sie nicht in einer Arbeitskolonne als Sozialhilfeempfänger erkannt werden wollen, glaubt auch Lothar Tippach von der Leipziger PDS nicht. Seiner Ratskollegin von den Bündnisgrünen, Annette Körner, ist das Argument von der sozialen Diskriminierung „nicht einmal zu Ohren gekommen“. Angesichts einer Arbeitslosenrate von mehr als 17 Prozent kann sich Tippach auch mit gering bezahlten Jobs anfreunden: „Für einen Menschen, der ein ganzes Leben lang gearbeitet hat, ist ein Jahr gemeinnützige Arbeit eine Hoffnung.“

Die Arbeitspflicht stabilisiere die Betroffenen, sagt auch Christdemokrat Hermanni. Aber arbeitende Leistungsempfänger erhöhten auch die Akzeptanz der Beitragszahler, weiterhin in die Sozialkassen einzuzahlen. Allerdings, so die Bündnisgrüne Körner, reichten die Arbeitsstellen bei der bfb bei weitem nicht für alle Sozialhilfeempfänger aus.

Nicht nur dort. Derzeit können Städte und Gemeinden nicht einmal jedem dritten Sozialhilfeempfänger eine Beschäftigung anbieten. In einer Umfrage ermittelte kürzlich der Deutsche Städtetag, daß die Gemeinden 30 Prozent der arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger gemeinnützige Arbeit anböten. Insgesamt verfügen die Kommunen über 200.000 Stellen für Sozialhilfeempfänger. Am häufigsten werden die arbeitenden Bedürftigen für die Pflege von Grünflächen und für soziale Aufgaben eingesetzt – 33 Prozent arbeiten in diesen Bereichen.

Elf Milliarden Mark geben die Kommunen jährlich dafür aus. Die Kommunen seien am Ende ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit angelangt, sagt Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU). Sämtliche arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger zu beschäftigen, hält sie für völlig unrealistisch.

Aber nicht nur Wolfgang Schäuble und Rita Süssmuth applaudieren, auch Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder meinen, daß Sozialhilfeempfänger zur Arbeit herangezogen werden sollten. Das SPD-regierte Bremen, als jüngstes Beispiel, will alle Sozialhilfeempfänger unter 27 Jahren zur Arbeit verdonnern. „Wenn sich diese Haltung durchsetzt“, so PDS-Mann Tippach, „dann kann ich nur sagen: Prost Mahlzeit.“

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