: Auch ein schöner Beruf Von Carola Rönneburg
Auch ein schöner Beruf ist der des Kinderladenhüters bzw. der der Kinderladenhüterin. Nur am Rande hat diese Tätigkeit mit der Betreuung von Moppels zu tun; ihnen schöne alberne Lieder beizubringen oder sie davon abzuhalten, Pfützen auszutrinken. In der Hauptsache birgt die Beschäftigung in einem Kinderhort die Möglichkeit, seinen Arbeitsplatz weitgehend von Fremdbestimmung freizuhalten.
Das beginnt mit den Dienstzeiten. Die Öffnungszeiten des Kinderladens müssen sich nämlich nicht am Tagesablauf der Mütter und Väter orientieren, die um halb neun am anderen Ende der Stadt sein wollen. Warum sollten Erzieher es schlechter haben als Eltern? Also kann man die Kinderladentüren auch erst um halb neun aufschließen. Und schnell wieder zumachen: Um zehn hat die Kindergruppe vollzählig versammelt zu sein; wer sein Kind bis in die Puppen schlafen läßt oder beim Frühstück trödelt, stört „die Entwicklung der Gruppe“ und muß draußen bleiben.
Von solchen Gestaltungsmöglichkeiten, den eigenen Arbeitsplatz betreffend, träumt jeder Kellner und jede Zeitungsredakteurin. Aber nur den Erziehern ist es vergönnt, diese Bedingungen auch noch zu verfeinern. In wenigen Betrieben ist so pünktlich Feierabend wie im Kinderladen: Um Punkt 16 Uhr ist auch das letzte liebe Kleine wieder in den Händen seiner Rabenmutter, die nun morgen ganz bestimmt früher kommen wird. Dafür sorgt ein kurzes, aufklärendes Gespräch über Entwicklungsstörungen bei Kindern, die immer lange nach den anderen abgeholt werden, weil Mami sie nicht genug liebhat – ganz zu schweigen von den Folgen für die Entwicklung der Gruppe.
Ebenfalls sehr schön selbstgeregelt sind die Erholungszeiten. Den meisten Erziehern ist es inzwischen gelungen, das Recht der Kinder auf ein langes Wochenende mit den Eltern ab Freitag, 12 Uhr, durchzusetzen. Darüber hinaus ergibt sich in unregelmäßigen Abständen die Gelegenheit, die Kinderbetreuung zeitweilig ganz auszusetzen, etwa, wenn sechs Kinder mit Grippe im Bett liegen und sich die alleinige Beschäftigung mit den verbliebenen drei störend auf die Entwicklung der Gruppe auswirken könnte.
Zugegeben: Auch im Kinderladen kann es Schwierigkeiten geben. Eltern können plötzlich Mitbestimmung verlangen oder ähnlichen Unfug. Hier hilft meist ein außerordentlicher, gleich für den nächsten Tag anberaumter Elternabend, auf dem die Kompetenzen eindeutig geklärt werden: Kindeswohl, Basiswissen einer jeden Erzieherausbildung, geht vor Elternwohl – das sagt sogar das Gesetz.
Dafür, daß wirklich alles beim alten bleibt, sorgen jedoch vor allem die Bewerberrunden mit Kinderladenplatzaspiranten und -inhabern. Jahrzehntelange, ausschließlich mündlich überlieferte Erziehererfahrung zeigt: Wenn erst wieder ein Stühlchen freigeworden ist und hoffnungsvolle Nachmieter um Aufnahme in den Kreis betteln, die Zigaretten zu Hause gelassen haben, mit selbstgebackenem, ahornsirupgesüßtem Kuchen antreten und von McDonald's noch nicht einmal gehört haben wollen, dann schweigt die störende Elterngruppe wieder stille. Und fragt die Neuen im Plauderton nach ihren Fernsehgewohnheiten aus.
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