Die eigenen Kinder als Killer

Mit Geiselnahmen und Terrorangriffen auf Bergdörfer destabilisieren obskure neue Rebellengruppen die Regierung Ugandas  ■ Aus Fort Portal Erhard Brunn

Die „Rebellen“ kamen um neun Uhr abends nach Katwe. Zuvor hatten sie zwei Männer entführt und sie gezwungen, ihnen den Weg zu zeigen. Im Dorf suchten sie nach Häusern von Repräsentanten des Staates. Ein Polizist und seine vierköpfige Familie wurde erschossen. Es kam zum Gefecht, zwölf Tote blieben zurück, darunter die Führer der Rebellen. Um ihren Rückzug zu sichern, nahmen die Überlebenden zehn Geiseln.

Die Rebellenbewegung „Allied Democratic Forces“ (ADF) im Westen Ugandas ist relativ neu in der Szene der militanten Gruppen, die gegen die Regierung von Präsident Yoweri Museveni kämpfen. Aber sie hat ihre Art der Kriegsführung schnell dem Vorgehen von Gruppen wie der „Lord's Resistance Army“ (LRA) um Gulu im Norden des Landes angeglichen. Die Überfälle geschehen meist bei Nacht. Selten werden militärische Ziele angegriffen. Die Opfer sind zumeist Zivilisten, speziell junge Männer, die in großen Mengen als Geiseln verschleppt werden. Die müssen bei der Flucht der Rebellenkommandos das Beutegut tragen und dienen bei Gegenangriffen der Armee als Schutzschild.

Die LRA nimmt darüber hinaus Kinder als Geiseln und verschleppt sie in den Sudan. In den letzten fünf Jahren hat die LRA nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef 12.000 Kinder und Jugendliche entführt. Die überlebenden Jungen werden Kindersoldaten, die Mädchen werden unter den LRA-Führern „aufgeteilt“. Die Massengeiselnahmen binden die Eltern der verschleppten Kinder psychologisch an die LRA.

Noch greift die ADF nicht zu solchen Mitteln, aber der Krieg legt seinen Schatten auf den Westen Ugandas. Aus den Distrikten Kasese und Bundibugyo direkt an der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo haben sich mehrere ausländische Entwicklungsdienste zurückgezogen. Nothilfeorganisationen rücken nach. Schulbetrieb, Gesundheitsversorgung, Straßenbau und Landwirtschaft sind behindert, die Gegend wird zum Sozialfall.

Für Ugandas Armee ist die Jagd auf diese Art von Rebellen schwierig: Rebellen, die eine gute Ortskenntnis haben oder diese von ihren Geiseln erpressen; die aus Bergen und Halbwüsten vorstoßen und sich hinter Schutzgürteln aus Landminen oder die nahe Grenze – Sudan im Falle der LRA, Kongo im Falle der ADF – wieder zurückziehen; die keinerlei Rücksicht auf die Angehörigen der Volksgruppen nehmen, für deren Interessen sie vorgeben zu kämpfen. Jubelt die Regierung, daß man der ADF wieder mal den Nachschub abgeschnitten hat und die Rebellen kaum mehr eine Patrone zu verschießen hätten, werden garantiert irgendwo Menschen mit Hacken und Äxten erschlagen. Schießen Soldaten auf Rebellen ohne Rücksicht auf Zivilisten, liegt die Gefahr auf der Hand, daß sie die Menschen gegen sich aufbringt – und sei es nur, weil die eigenen Kinder unter den „Killern“ sind.

Der Konflikt im Westen Ugandas knüpft an alte Traditionen an. In den Ruwenzori-Bergen an der Grenze zwischen Uganda und Kongo gab es jahrzehntelang Widerstand gegen die Unterordnung der Bakonzo-Bevölkerung in den Bergen unter das Toro-Königtum, das seinen Sitz in der Stadt Fort Portal hat. Militärisch unbesiegt schloß diese „Ruwenzori-Bewegung“ Anfang der 80er Jahre einen Kompromiß mit der damaligen Regierung. Danach versuchten ganz andere, in diese Fußstapfen zu treten – radikale Muslime, die der Herrschaft Idi Amins nachtrauern, weil sie damals eine besondere Förderung genossen, oder Gruppen, die behaupten, im heutigen politischen System keinen Platz zu finden.

Beide Strömungen fanden Aufnahme in Mobutus Zaire, bis Ende 1996 die gegen Mobutu kämpfenden AFDL-Rebellen zusammen mit Ruandas und Ugandas Regierungen die Grenzgebiete von gemeinsamen Feinden säuberten. Die Gruppierungen schlossen sich zur ADF zusammen und wichen mit Hilfe zairischer Mobutu-Truppen auf die ugandische Seite der Grenze aus. Von Vorteil für sie war die erneute Diskussion um eine Dezentralisierung Ugandas, mit der eine größere Akzeptanz für regionalistische Strömungen und Stimmungsmache gegen Minderheiten verbunden ist. Die Idee eines eigenen Bakonzo-Königtums in den Ruwenzori-Bergen, parallel zu den von Museveni wieder eingesetzten traditionellen Königtümern in anderen Teilen Ugandas, gewann an Aufschwung.

Die ADF machte sich diese Idee zu eigen. Je mehr sie sich aber mit Bakonzo-Monarchisten identifiziert, desto mehr Schwierigkeiten bekommt sie in anderen Distrikten. Wenn die Bakonzo, selbst Opfer des ADF-Terrors, von anderen Gruppen mit der ADF gleichgesetzt werden, wächst die Gefahr ethnischer Zusammenstöße.

Inzwischen wird die ADF aus den alten Waffenbeständen der Mobutu-Armee und der ruandischen Hutu-Milizen in Ex-Zaire ausgerüstet und personell unterstützt. Am Wochenende bekannte sich die ADF sogar zu einem Bombenanschlag in Ugandas Hauptstadt Kampala, bei dem drei Touristen verletzt wurden. Sudan, Schutzmacht der nordugandischen LRA, schickt ebenfalls schwere Waffen und Minen an die ADF.

Nun steht der gesamte panafrikanische Traum Musevenis in Frage. Museveni sieht die Zukunft Schwarzafrikas jenseits von nationalstaatlichen Grenzen, die er allerdings nicht verschieben, sondern „transzendieren“ will. Es laufen Verhandlungen zwichen Kongo, Ruanda und Uganda über den grenzüberschreitenden Ausbau von Straßen- und Schienennetz, Wasserwegen und Telekommunikation. Verplant wird dabei Staatsgebiet, das noch gar nicht befriedet ist. So spielt bei vielen der diskutierten Pläne das ugandische Kasese eine zentrale Rolle – mitten im Operationsgebiet der ADF.

Wie ernst die Regierung Museveni inzwischen die Lage nimmt, zeigt das Schicksal des 3. Armeebataillons, das von den USA als Teil einer zukünftigen afrikanischen Friedenstruppe ausgebildet worden ist. Weil es doch eigentlich das Fort-Portal-Bataillon sei, so die Regierungszeitung New Vision, werde diese Vorzeigeeinheit ihre neuen Fähigkeiten und Gerätschaften im Kampf gegen die ADF unter Beweis stellen.