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Kohl: 21 Prozent für die Rente sind nicht sicher

■ Der Kanzler verspricht zwar nicht, die Erhöhung des Beitragssatzes zu verhindern. Aber er will die geplanten 21 Prozent „ändern, mit den Möglichkeiten der Vernunft“

Bonn (taz) – Der Schock über die Anhebung des Beitragssatzes für die gesetzliche Rentenversicherung auf Rekordhöhe hat nun auch den Bundeskanzler erreicht. Die für 1998 angekündigte Erhöhung auf 21 Prozent bezeichnete Helmut Kohl gestern auf einem Mittelstandskongreß der Deutschen Bank in Frankfurt als nicht akzeptabel. „Wir müssen sie ändern, mit den Möglichkeiten der Vernunft.“

Besonders ungewöhnlich: Der Regierungschef und CDU-Vorsitzende forderte zu einer Diskussion auf. Thema soll die zukünftige Gestaltung des Rentensystems sein. Dabei war die Zukunft der staatlichen Alterssicherung in seiner Partei schon lange und kontrovers erörtert worden. Ein Grundsatzstreit zwischen Arbeitsminister Norbert Blüm und Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf endete vor wenigen Monaten mit dem Konzept für eine Strukturreform, bei der sich Blüm weitgehend durchsetzen konnte.

Jetzt erklärte Kohl, angesichts der umgedrehten Alterspyramide in Deutschland seien Sorgen junger Menschen über die Alterssicherung berechtigt. „Da muß man ehrlich miteinander reden, was an dem bisherigen System haltbar ist und was geändert werden muß.“

Die Diskussion hat schon begonnen. Der Vorsitzende des Sozialbeirats der Bundesregierung, Winfried Schmähl, sowie der stellvertretende CSU-Chef Ingo Friedrich forderten Änderungen am derzeitigen System der Rentenversicherung.

Gleichzeitig ist in den Reihen der Union offener Streit über den Zeitpunkt der Rentenreform ausgebrochen. Der CDU-Sozialexperte Julius Louven sprach sich dafür aus, die Reform um ein Jahr auf 1998 vorzuziehen. Dies lehnt jedoch der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) ab, da dann die Renten im nächsten Jahr sinken würden. „Das ist ein Riesenproblem“, sagte Stoiber bei einer Diskussionsveranstaltung in Wiesbaden. In Bayern finden 1998 Landtagswahlen statt.

Auch die FDP wünscht ein Vorziehen der Reform. CDU-Sozialpolitiker Louven hat diesen Schritt jedoch an Bedingungen geknüpft. Eine Entlastung beim Beitragssatz für die Rente werde nur erreicht, wenn es gleichzeitig gelänge, die Einnahmeausfälle durch Eindämmung der sozialversicherungsfreien, geringfügigen Beschäftigung sowie der Scheinselbständigkeit zu begrenzen. Eingriffe bei den 610-Mark-Jobs lehnen die Liberalen jedoch ab. Neuer Streit auch innerhalb der Koalition scheint damit programmiert.

Zu Wort gemeldet hat sich zum Thema erneut auch Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Er habe „überhaupt kein Verständnis“ für Minister Blüm, der noch zu Beginn des Jahres eine Senkung der Rentenbeiträge in Aussicht gestellt habe. Die angekündigte Erhöhung könne die Wirtschaft nicht verkraften. Sie werde erneut Arbeitsplätze kosten. Dagegen meinte Blüm, die Arbeitgeber unterschlügen bei ihrer Kritik, daß die Spargesetze, „die wir im Interesse der Wirtschaft gemacht haben“, auch Beitragsverluste gebracht hätten.

Morgen wird sich das Kabinett mit der vom Kanzler für nicht akzeptabel erklärten Anhebung des Rentenbeitrags befassen. Blüms Sprecher teilte mit, er gehe davon aus, daß die Erhöhung beschlossen werde.

Die Kontroverse um die Rentenreform müssen die Regierungsparteien ganz alleine austragen. Anders als bei der geplanten Erhöhung der Mehrwertsteuer ist für die Strukturreform der Rente die Zustimmung des Bundesrats nicht erforderlich. Die Koalition kann sie ganz einfach alleine beschließen. Wenn sie will. Bettina Gaus

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