: Assekuranz im Fusionsfieber
Jährlich zwischen fünfzig und hundert Zusammenschlüsse in der deutschen Versicherungswirtschaft. Kartellamt sieht keine Handhabe ■ Von Hermannus Pfeiffer
Hans Dieter Meyer freut sich über Fusionen: „Wir haben viel zu viele Versicherungsunternehmen in Deutschland“, klagt der Gründer des Bundes der Versicherten in Henstedt-Ulzburg. „Zwanzig Versicherer wären genug, um den Wettbewerb sicherzustellen, alle anderen verursachen nur unnötige Kosten für die Verbraucher.“ Bislang brachte dieses Jahr für Meyer viel Freude – die deutsche Assekuranz fusioniert wie nie zuvor.
„Alle reden von Konzentration und Globalisierung; wir ziehen die Konsequenzen!“ Mit diesen starken Worten hatte Edgar Jannott im Juli die Verschmelzung der Victoria-Versicherungsgruppe mit der Hamburg-Mannheimer angekündigt. Damit entsteht im November der zweitgrößte Versicherungskonzern in Deutschland – mit Kapitalanlagen von mehr als 100 Milliarden Mark und 40.000 Beschäftigten. Die neue Ergo-Holding entsteht unter dem Dach der Münchener Rückversicherung, die Mehrheitsaktionärin sein wird.
Diese Großfusion steht nicht allein: Erst im Mai hatte die Zentralisierung der AMB Aachener-Münchener und der Volksfürsorge für Aufregung bei Belegschaft und Öffentlichkeit gesorgt. Eine Woche nach der Ergo-Meldung folgte dann auch noch die Verbindung von zwei starken „Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit“, der Gothaer und der Berlin-Kölnischen (jetzt „Parion“) zur neuen Nummer acht in der Assekuranz- Hitliste. Vorstandsvorsitzender Wolfgang Peiner: „Wir haben sonst gegen die großen Kapitalgesellschaften keine dauerhafte Wettbewerbschance.“ Derweil schließen sich nicht nur in Deutschland die Sicherheitsverkäufer zusammen: Die Europäische Kommission meldet in ihrem Wettbewerbsbericht seit 1987 jährlich zwischen 50 und 100 große Assekuranz-Übernahmen. Da fusioniert die Zürich-Versicherung mit dem Assekuranzteil des BAT- Konzerns, die französische Axa mit der UAP zu Europas größtem Versicherer oder die Credit Suisse mit der Winterthur-Versicherung, die in Deutschland mit der DBV präsent ist und mit der Commerzbank kooperiert. Von der Wirtschaftswoche bis zum Konzentrationsforscher Jörg Huffschmid erwarten alle für dieses Jahr einen europäischen Fusionsrekord.
Aber immer noch existieren in Deutschland über vierhundert Versicherer. Jedoch müssen sich die meisten Gesellschaften mit einem Nischendasein begnügen. Tatsächlich wird der Markt von vier Großgruppen dominiert: Der auch in Europa führende Branchenriese Allianz vereint auf sich und seine Tochterfirmen einen inländischen Marktanteil von rund einem Viertel. Ähnlich schwergewichtig kommt die Münchener- Rück-Gruppe daher, als „Versicherer der Versicherer“ ist die Rückversicherung weltweit die Nummer eins und mit Ergo bald die deutsche Nummer zwei im ertragsstarken Privatgeschäft. Die beiden Giganten Allianz und Münchener Rück sind zudem über Kreuz miteinander verflochten.
Das Bundeskartellamt sieht es mit Mißmut, „aber dagegen gibt es keine rechtliche Handhabe“, erklärt eine Sprecherin gegenüber der taz. Damit aber nicht genug, bestehen obendrein kapitalmäßige und personelle Bande auch zu den Nummern drei und vier der Branche, der AMB und der Deutsche- Bank-Versicherungsgruppe (mit Deutscher Herold, Gerling, Nürnberger). Die Deutsche Bank wiederum hält zehn Prozent des Kapitals von Allianz sowie der Münchener Rück.
„Wir wollen die Chancen des sich schnell wandelnden Versicherungsmarktes nutzen“, so Ergo- Planer Jannott. Die Öffnung des europäischen Binnenmarktes im Sommer 1994 hätte den Wettbewerb verstärkt. Ausländer könnten seitdem ihre Policen ungehindert auf dem vorher geschlossenen deutschen Markt verkaufen. Die Konkurrenz sei daher dramatisch gewachsen und erzwinge Fusionen, behaupten die Vertreter der Assekuranz unisono. Tatsächlich ist der Marktanteil ausländischer Versicherer aber eher noch gesunken, kann der eigenen Verbandsstatistik entnommen werden. Trotz erfolgloser Ausländer hat sich der Wettbewerbsdruck erhöht: Schuld ist der Mangel an kaufkräftiger Nachfrage in Deutschland. So wuchs der früher stürmisch expandierende Versicherungsmarkt im Jahre 1996 noch gerade mal um drei Prozent.
Zugleich hat sich die Fusionslandschaft gewandelt: Wurden früher kleinere oder angeschlagene Unternehmen von den Branchenführern aufgekauft, passiert dies heute großen und äußerst gewinnträchtigen Konzernen – die sehr wohl auch eigenständig überleben könnten (oder beide Parteien fusionieren mehr oder minder gleichberechtigt). „Davon versprechen sich die Unternehmen vornehmlich Synergien und Rationalisierungen“, sagt Jochen Berking von der HBV. „2 + 2 ist eben nur 3“, titelte das gewerkschaftliche Fachblatt Forum. Diese neumodische Fusionsmathematik werde in den kommenden Jahren ein Viertel der fast 300.000 Assekuranz- Arbeitsplätze vernichten.
Schuldig sind – ganz klassisch – die Produktivkräfte. Die elektronische Datenverarbeitung und die Rundumausstattung der Finanzdienstleister mit Computern machen eine neue Arbeitsorganisation möglich und schufen damit erst die guten Gründe für Großfusionen: Die betriebliche Verarbeitung der Massenkundschaft ist nun so weit gediehen, daß aus zwei Niederlassungen anderthalb werden, und mehrere EDV-Zentren oder die Finanzbuchhaltung können jetzt anstandslos zusammengelegt werden. Der Fordismus der Industrieära erreicht damit die moderne Dienstleistungswelt. Anders als Ratgeberautor Meyer fürchtet Wolfgang Scholl die neue Fusionswelle. Für den Versicherungsexperten der Verbraucherzentrale in Düsseldorf steht fest: „Konzentration zementiert den Markt.“
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