: Wachstum allein reicht nicht
■ 4,29 Millionen Arbeitslose Ende Oktober. Im Westen macht sich die Exportnachfrage bemerkbar. Der Osten wird immer weiter abgehängt. Kohl hofft auf die Wende im nächsten Jahr
Nürnberg (taz) – Die Arbeitslosigkeit stagniert auf hohem Niveau. Ende Oktober waren 4,29 Millionen Menschen ohne Arbeit. Das sind zwar 17.800 weniger als einen Monat zuvor, aber 423.500 mehr als vor einem Jahr. Saisonbereinigt stieg die Arbeitslosigkeit gegenüber dem September sogar um knapp 20.000 an. Trotzdem sieht der Präsident der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit (BA), Bernhard Jagoda, deutliche Anzeichen dafür, daß die konjunkturelle Erholung am Arbeitsmarkt nicht vorbeigehe. Optimismus, so Jagoda, sei eben „keine statische Größe, sondern beeinflußbar“.
Starken Einfluß auf Jagodas positive Bewertung der katastrophalen Lage am Arbeitsmarkt haben die Arbeitsmarktdaten aus den alten Ländern. Vor allem aufgrund des starken Anstiegs des Exports lag dort die Zahl der Arbeitslosen mit 2,29 Millionen um 10.500 unter dem Septemberwert und „nurmehr“ um 153.200 über dem Vorjahresniveau. „Seit dem Frühjahr hat sich der Vorjahresabstand damit fast halbiert“, bilanzierte Jagoda zufrieden. Auch der Abbau der Beschäftigung neigt sich im Westen dem Ende zu. Seit letztem Jahr hat sich die Erwerbstätigkeit nurmehr um 0,9 Prozent auf jetzt 27,86 Millionen verringert.
In den neuen Ländern muß sich der BA-Präsident dagegen auf einige wenige „Leuchttürme, die positive Signale aussenden“, beschränken. Dazu zählt er Opel in Eisenach als einen der wenigen Großbetriebe, der Neueinstellungen vornimmt, oder das Chip- Werk von Siemens in Dresden. Ansonsten leutet nichts, 1,37 Millionen Arbeitslose sind saisonbereinigt 16.000 mehr als im Vormonat und 270.300 mehr als im Oktober 1996. „Der Vorjahresabstand hat sich seit Jahresbeginn nahezu verdoppelt“, räumte Jagoda ein. Innerhalb eines Jahres stieg die Arbeitslosigkeit damit um fast 25 Prozent.
Auch die Erwerbstätigkeit befindet sich in den neuen Ländern immer stärker auf Talfahrt. Die Beschäftigung liegt bei 6,14 Millionen, das sind 200.000 weniger als im Vorjahr. Dafür macht Jagoda vor allem das geringe Gewicht der Exportwirtschaft und die Krise beim Bau verantwortlich.
Daß die Lage in den neuen Ländern trotz drastisch zurückgefahrener arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen nicht noch schlechter ist, wertet der BA-Präsident als Indiz dafür, daß es auch im Osten so etwas wie eine „wirtschaftliche Belebung“ geben müsse. Immerhin ging die Zahl der Teilnehmer an beruflichen Weiterbildungen um 102.000 zurück.
Insgesamt führten die rigiden Haushaltskürzungen dazu, daß die entlastende Wirkung von Arbeitsbeschaffungs- und Weiterbildungsmaßnahmen binnen Jahresfrist um 240.000 Fälle auf nurmehr 520.000 abgenommen hat.
Prognosen für das Jahr 1998 wollten die Arbeitsmarktstatistiker nicht wagen. Schon bei der Prognose für dieses Jahr war man stark danebengelegen. Sagte man im Herbst 1996 für 1997 eine durchschnittliche Jahresarbeitslosigkeit von 3,952 Millionen voraus, wird sich real ein Wert zwischen 4,35 und 4,4 Millionen einpendeln. Jetzt geht es auf dem hohen Niveau von 4,29 Millionen in den Winter. Da ist für Jagoda nur eines klar: „Mit Wachstum allein kann man die Beschäftigungsprobleme nicht lösen.“
SPD und der Gewerkschaftsbund DGB warfen der Bundesregierung entscheidende Mitschuld an der hohen Arbeitslosigkeit vor. Regierungssprecher Hausmann erklärte, die Regierung erwarte die „Wende zum Besseren“ im Verlauf des kommenden Jahres. Bernd Siegler
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