Geschraubte Weltmaschine

■ Uwe Herms liest aus „Wundertüte eines halben Tages“

Wen kümmern die Gedanken eines Schlachters vor der „Fleischernte“? Wer sinniert schon lange über Schrauben, vor allem, wenn man sie nur braucht, um ein verfluchtes Regal an der Wand anzubringen?

Der Autor Uwe Herms, geboren 1937 in Salzwedel, aufgewachsen in Hamburg, schiebt solche Fragen nicht achtlos beiseite, sondern nimmt sie zum Anlaß, kurze, aber detailreiche Geschichten zu erzählen. So auch in seinem neuen Buch Wundertüten eines halben Tages (Rasch & Röhring). In der Erzählung „Wenn der Schlachter einmal Zeit hat“seziert Herms das zwiespältige Verhältnis zwischen einem Schlachter und seinen Opfern. In der nüchternen Bewertung der Tiere durch den Fleischexperten findet Emphase keinen Platz, bis der Exekutierer sich am Abend einen Bissen Fleisch auf der Zunge zergehen läßt. Da „fängt der Schlachter an, sich als das Fleisch zu fühlen, das sich selbst verzehrt“.

In „Schrauben“trifft der Erzähler auf einen Eisenkrämer, der von seinem Sortiment derart besessen ist, daß er bei dem Verkauf von Schrauben und Dübeln in einen obsessiven Vortragsstil verfällt. Als der Käufer den Laden verläßt, ist er überzeugt, daß durch „eine Schraube, die fehlt, eine Welt zusammenbrechen würde“.

So unabhängig die einzelnen Geschichten aus der Wundertüte auch für sich stehen, so verbindet sie doch ein kaum merkliches Band. Der Rhythmus der Sprache, die ohne Umstände prosaische Ausführlichkeit und poetische Knappheit verbindet. Es ist aber auch die beharrliche Wiederkehr von Motiven, wie der frühe Tod des Vaters und die komplizierte Liebe zur Jugendfreundin Gesine. Herms, der selbst viele Jahre im Ausland lebte, bevor er sich in Berlin und auf der Nordseeinsel Eiderstedt niederließ, versteht sich darauf, von jedem Ort der Welt die Maschine seiner Erinnerungen in Bewegung zu versetzen und somit Städte, Menschen und Gegenstände miteinander zu verknüpfen. Joachim Dicks

heute, 20 Uhr „Literatur im Nedderfeld“, Halstenbek, Nedderfeld 2