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„Aber jetzt nicht auch noch küssen“

■ Rote und Grüne unterschreiben Koalitionsvertrag – auch Anna Bruns

Ausgelassen wurde gekichert, geherzt und gescherzt. Die 24 rotgrünen UnterhändlerInnen traten gestern nach 13 anstrengenden Verhandlungstagen im Rathaus zum Vollzug an: Sie unterschrieben den 94seitigen Koalitionsvertrag. Dazu hatten sich alle fein gemacht. Nur die sonst so elegant gekleidete Anna Bruns (GAL) war in einfachen Jeans und Wollpulli erschienen. Ihr war nicht feierlich zumute. Bis zum Vorabend hatte sie mit sich gehadert, ob sie den Vertrag überhaupt mittragen will.

„Der Koalitionsvertrag hat nichts Strahlendes, noch nicht einmal etwas, das man Projekt nennen kann“, sagte sie. „Ich bin nicht zufrieden, aber ich bin mitverantwortlich.“Und deshalb unterschrieb sie gestern. Ihre politischen FreundInnen aus dem Sozial- und Flüchtlingsbereich hätten ihr zudem signalisiert, daß „der Schaden größer wäre“, wenn sie ausstiege.

Über das, was sie bei den Verhandlungspunkten Migration und Flüchtlingskinder von der SPD zu hören bekam, sei sie noch immer „schockiert“. Sie sei nun mal „eine sentimentale alte Kuh“. Denn sie könne nicht beiseite schieben, daß es um Kinder und deren Zukunft gehe. „Ich kann nicht verhehlen, daß ich oft an Günther Grass gedacht habe.“Grass hatte bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels die deutsche Asylpolitik gegeißelt.

Derweil stießen die übrigen Unterhändler gutgelaunt mit Sekt auf den Vertrag an. Zutiefst miteinander sympathisierend schüttelten der designierte Erste Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) und die designierte Zweite Bürgermeisterin Krista Sager (GAL) sich vor den Kameras lange die koalitionären Hände. „Aber jetzt nicht auch noch küssen“, entfuhr es der GALierin Christa Goetsch.

Recht hat sie. Denn am Sonntag wird's ohnehin schwer genug. Zu den Koalitionsvertragsgegnern aus den Bezirken Nord, Bergedorf und Harburg, den linken ZAS-Rebellen und den über die Ressortverteilung unzufriedenen Realos hat sich nun auch die GAL Eimsbüttel gesellt. Sie verlangt per Antrag Nachverhandlungen und eine Verschiebung der Entscheidung um zwei Wochen. Bereits am Mittwoch abend hatte der GAL-Landesvorstand dem Koalitionsvertrag einstimmig zugestimmt.

Silke Mertins

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