: Bewährung für Konsulat-Besetzer
■ Gericht räumte TürkInnen „moralisches Pflichtgefühl“ein
Geldstrafen auf Bewährung verhängte das Landgericht gegen einen Türken und eine Türkin, die vor mehr als einem Jahr an einer Besetzung des türkischen Honorarkonsulats in Bremen beteiligt waren. Das Büro an der Schlachte 37 war am 12. Juli 1996 für rund drei Stunden besetzt worden. Die Besetzer wollten eine Pressekonferenz durchsetzen und forderten freien Abzug. Ein Sonderkommando der Polizei stürmte das Gebäude. Dabei stürzten sich vier Menschen aus dem Fenster des Gebäudes. Da ein Luftkissen bereitstand, wurden sie nicht verletzt.
Mit der Aktion wollten die insgesamt zehn Besetzer auf einen Hungerstreik in türkischen Gefängnissen aufmerksam machen. Dort hatten Gefangene die Nahrung verweigert, um gegen ihre schlechten Haftbedingungen und die Situation politischer Gefangener in der Türkei zu protestieren.Das Gericht räumte ein, daß die zwei Besetzer ein „moralisches und ethisches Verpflichtungsgefühl“gespürt haben mochten, an der Besetzung teilzunehmen. Unter den Hungerstreikenden in der Türkei befanden sich mehrere Familienangehörige der beiden verwandten Verurteilten, ein Cousin lag bereits wegen des Hungerstreiks im Koma. Insgesamt befanden sich fünf Cousins der verurteilten Frau im Gefängnis, eine Schwester war unter nicht geklärten Umständen in der Türkei gestorben. Die beiden Verurteilten hatten 1995 in Deutschland Asyl beantragt, da sie politische Verfolgung in der Türkei fürchten. Ob die zwei der verbotenen türkischen Gruppe „dev sol“nahestehen, war nicht Gegenstand der Verhandlung. Beide erklärten aber, weder Mitglied der PKK noch von „dev sol“zu sein.
Die Anwälte der Angeklagten kritisierten das Vorgehen der Polizei und den Einsatz des Sondereinsatzkommandos. Es sei nicht ausreichend versucht worden, die Situation durch Deeskalation zu beruhigen. Die Verurteilten berichteten von Panikgefühlen, als sie die maskierten Beamten des SEK gesehen hätten. Bei der Erstürmung der verbarrikadierten Räume war es zu erheblichem Sachschaden gekommen, der festgehaltene Sozialattaché blieb unverletzt.
Die gestern verurteilte, nicht vorbestrafte 22jährige Frau hatte wegen der Besetzung bereits 48 Tage in Untersuchungshaft gesessen. Die Tatbeteiligung des verurteilten Mannes wertete das Gericht höher, da er aus dem Fenster gesprungen sei. Die Version, daß er aus Angst gesprungen sei, wurde ihm nicht geglaubt. Die Bewährungszeit beträgt zwei Jahre. cd
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