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Für Scientology ist Deutschland einer der wichtigsten Standorte. Hier erwirschaftet die Organisation ein Drittel ihres weltweiten Umsatzes, von hier kann die Ausdehnung in die Staaten des ehemaligen Ostblocks am besten vorangetrieben werden

Für Scientology ist Deutschland einer der wichtigsten Standorte. Hier erwirschaftet die Organisation ein Drittel ihres weltweiten Umsatzes,

von hier kann die Ausdehnung in die Staaten des ehemaligen Ostblocks am besten vorangetrieben werden. Und hier gibt es auch am meisten Ärger.

Sprungbrett Deutschland

Helmuth Blöbaum strahlte. „Ich habe das Urteil erwartet“, kommentierte der Präsident von Scientology Deutschland gestern im Gerichtssaal. Denn der Verlust der Rechtsfähigkeit als Verein und die folgenden wirtschaftlichen und politischen Probleme hätten für Scientology schwere Folgen: Deutschland gilt als eine der wichtigsten Machtbasen des globalen Psychokonzerns.

Die Bedeutung der Bundesrepublik für Scientology stützt sich vor allem auf drei Faktoren: Erstens erwirtschaftet nach Informationen von Sektenkennern der Konzern hier ein Drittel seines weltweiten Umsatzes. Zweitens gilt Deutschland den Scientologen als „Sprungbrett nach Osten“, um die Organisation in den Staaten des ehemaligen Ostblocks voranzutreiben. Und schließlich könnte die Diskussion Auswirkungen auf die Situation in den USA haben, wo die Jünger des Sektengründers Hubbard ihren Einfluß bereits zu weit ausgedehnt haben.

Wie wichtig der Organisation ihr deutsches Standbein ist, hatten die Scientologen bereits letzte Woche bewiesen. Aus Anlaß der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht trommelten die Konzernherren etwa 2.000 Menschen zu einem „Marsch für Religionsfreiheit in Deutschland“ in Berlin zusammen. Eine Konferenz der scientologynahen Organisation „Freedom for Religions in Germany“ verurteilte mit Vertretern verschiedener Religionen wie Hindus, Christen, Muslimen und Buddhisten die „religiöse Intoleranz“ in Deutschland. Nach Angaben des Scientology-Sprechers Georg Stoffel hat die Organisation 30.000 Mitglieder in Deutschland. Liane von Billerbeck, Publizistin und Sektenexpertin, hält diese Zahl für „weit übertrieben“. Dennoch ist Deutschland wichtig: Vier der acht umsatzstärksten Firmen liegen in deutschen Landen, meint der Sektenbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, Thomas Gandow. Außerdem sei der Konzern in anderen europäischen Ländern auf dem Rückzug. Im Gegensatz zu den Beteuerungen der Sekte, man stoße in Europa kaum auf Probleme, listet Gandow auf: „In Griechenland sind sie verboten worden, in Schweden wurden ihre geheimen Schriften veröffentlicht.“ In Italien sei die Organisation als „kriminelle Vereinigung“ allgemein verrufen.

Da richtet sich der Blick der Konzernherren auf den Osten. Scientology habe inzwischen Niederlassungen in den russischen Städten Irkutsk, Moskau und St.Petersburg und konzentriere sich mit ihren Schulungskursen auf die Gebiete der ehemaligen sowjetischen Rüstungsindustrie, meint von Billerbeck. Dort würden ganze Stadtverwaltungen nach Scientology-Konzepten geschult. Nach Angaben von Gandow sind die Scientologen weit ins Establishment vorgedrungen und unterrichten die Führungskräfte in eigenen Hubbard-Colleges. Massiv übe die Organisation gemeinsam mit anderen Gruppierungen wie der Moon-Sekte Druck aus auf die Religions- und Vereinsgesetzgebung. Gandow: „In Bulgarien veröffentlicht die Akademie der Wissenschaften die Hubbard-Bücher.“

Doch der Einfluß der Psychosekte auf die westliche Großmacht ist womöglich noch größer. Ein Bericht der New York Times vom März 1997 zeichnet erstmals detailliert nach, wie die Organisation in den USA die Steuerbehörde IRS dazu brachte, ihr trotz eines Einkommens von etwa 300 Millionen Dollar jährlich den steuerbegünstigten Status einer Kirche einzuräumen. Das IRS hatte ihr diesen 25 Jahre lang verweigert, und Scientology startete einen „Zerrüttungskrieg“: Privatdetektive wurden auf die Beamten angesetzt, die Behörde wurde mit Klagen überhäuft, Scientology finanzierte eine „Bürgerrechtsorganisation“, die die angebliche Willkür des IRS anprangerte. Behörde und Sekte beendeten laut New York Times diesen „Krieg mit allen Mitteln“ durch eine „erstaunliche Kehrtwendung“ des IRS: Nach einem Treffen des Scientology-Präsidenten David Miscavige mit dem Behördenchef Fred Goldberg gewährte die Behörde im Oktober 1993 für alle 150 Tochterfirmen des Konzerns die begehrten Steuervorteile – und weigert sich seitdem, die Gründe und Akten dieser Entscheidung zu veröffentlichen.

Der Jubel bei Scientology war groß. Schwerer noch als der finanzielle Gewinn wog das Imageplus für die Hubbard-Jünger. Außerdem verpflichtete sich die Behörde dazu, Werbebroschüren von Scientology an „jede Regierung der Welt zu verschicken“.

Aus Deutschland könne eine Diskussion über die Macht von Scientology in den USA angestoßen werden, hofft Aussteiger Armstrong. Wie weit die USA davon entfernt sind, zeigt die neueste Ausgabe der Scientology-Postille Freiheit. Das Hochglanzheft, das sich schwerpunktmäßig der „Diskriminierung in Deutschland“ widmet, wird durch einen prominenten Beitrag zum Thema Drogenpolitik aufgewertet. Der Autor: Bill Clinton, Präsident der Vereinigten Staaten. Bernhard Pötter

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