Je älter, desto jünger

Für „die reifere Jugend“: Hamburgs Treffpunkte haben das SeniorInnen-Image abgestreift – und den KundInnen gefällt's  ■ Von Judith Weber

Dieter Möllers Gäste sind so jung, wie er sie findet, und das ist ziemlich jung. Da sind die Frauen, auf deren Stückchen Theke Korngläser einander berühren, und deren Freundin gleich zurückkehren wird von ihrem Tango mit dem Mann vom Nebentisch. Da sind die Norderstedterinnen, die beim Einkaufsbummel Lust auf einen Walzer bekommen haben. Und da ist Doris Hardtke, die lächelt und den Kopf auf die Hände stützt, als sei er ein kostbares Instrument auf einem Stativ.

Dieter Möller hat sie von der Seniorin zur „reiferen Jugendlichen“gemacht: Doris Hardtke kam schon in Möllers Lokal, als es noch Seniorentanz hieß. „Aber von dem Image haben wir uns getrennt“, verkündet Möller – der Mann an der Theke, unter der Disco-Kugel, umgeben von Wolfgang Petrys Stimme. Musik und Tanz „für die reifere Jugend ab vierzig“heißt jetzt seine tägliche Party in Hamburgs Norden.

Paare kreiseln im Takt eines Walzers oder eines Foxtrotts. „Bis zum Rock 'n' Roll geht das“, strahlt Hardtke, die über die mindestens vierzig Jahre, die das Schild am Eingang gebietet, „längst hinaus“ist. Die meisten Gäste sind zwischen 50 und 60; aber „wer uns sieht“, flachst eine Frau im brennend roten Rock, „wird sich wünschen, ganz schnell alt zu werden“.

Dabei sind Worte wie „Ältere“, „Alte“oder gar „SeniorInnen“geächtet, und zwar gerade bei jenen, die sie beschreiben sollen. Vorurteile kleben an den Wörtern wie schweißige Füße am Kunststoffboden. „Wenn wir früher ein Taxi zum ,Seniorentanz' bestellt haben“, erzählt Dieter Möller, „dann fragten die Fahrer immer sofort: In welches Pflegeheim soll's denn gehen?“

Das Image, von dem der Gastwirt sich imageträchtig getrennt hat, ist weiblich, alleinstehend und ringt um Hilfe: Drei Viertel der HamburgerInnen über 75 sind Frauen, verwitwet und leben allein. Und die Bezeichnung SeniorInnen „hört sich ja furchtbar an“, gruselt sich Sabine Krohn. JedeR fünfte HamburgerIn ist älter als 60 – und? „Als ob man dann nichts mehr könnte und nur noch zu Hause rumsitzt!“

Das tun sie nicht, die KundInnen von Sabine Krohns PartnerInnen- und Freizeitagentur für „junge alte Leute“. Unter der Formel „Lust auf Leben“lassen sich genauso viele Männer wie Frauen in die Kartei aufnehmen. „Wir bieten an, was unsere Kunden möchten“, hatte sich Sabine Krohn damals vorgenommen. Und war überrascht ob deren Wünsche. Nach Afrika reisen wollten die Männer und Frauen, nach Mexiko, Hauptsache weit weg.

Doch auch reifere Jugendliche sind so jung, wie andere sie finden. „Für ältere Leute ist das hier prima“, sagt die 46jährige Christa Brecht, als sie zum ersten Mal bei Möllers tanzen geht – und zum vorerst letzten Mal. Zu jung fühlt sie sich, obwohl die Stimmung klasse sei: Männer geleiten die Frauen zum Tisch, nach jedem Lied ist Päuschen. Praktisch, findet Doris Hardtke: „Man will den Tanzpartner ja nicht gleich adoptieren.“

Jemanden kennenlernen, sich verlieben – kann man, muß man aber nicht, finden die TänzerInnen unter der Glitzerkugel. Rex Gildo singt von lauen Nächten, und ein Mann mit Lederschlips zupft sich ständig am Ohrläppchen. Äußerlichkeiten. „Auf so etwas achten die wenigsten“, sagt Sabine Krohn. Zwar suchen viele ihrer KundInnen den Menschen fürs Leben. „Aber den meisten sind nur innere Werte wichtig.“Humor, Ruhe, ein Schuß gleicher Moral.

Überzeugungen aus vierzig Jahren und mehr folgen den TänzerInnen bei Möllers wie ihre schrägen Schatten, die mit den Umrissen anderer verklumpen. Viele wollen nicht, daß ihre Nachbarn vom Foxtrott im vierten Stock erfahren – besonders nicht jene, die verheiratet sind. Bitte keine Fotos, keine Gäste unter vierzig. „Vielleicht mal jemand, der 38 ist“, schwächt Möller ab. „Aber viel Jüngere – das paßt nicht.“

Die unreifere Jugend unter vierzig amüsiert sich drei Treppen weiter unten; in einem Fitneßstudio, ebenso uneinsichtig wie die Tanzetage. Im Hof kollidiert ein Mann, der gerade mit einer Apfelschorle auf den schmissigen Tango angestoßen hat, mit Frauen im Muskel-shirt. Grüßt und sagt: „Für uns Ältere ist Tanzen ja auch schon wie Gymnastik.“