Pelzmäntel fürs Immunssystem

■ Die „Arisierung“in Hamburg. Der Historiker Frank Bajohr über den perfiden Bereicherungswettbewerb

Der Historiker Frank Bajohr arbeitet in der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. Er legt jetzt eine Geschichte der „Arisierung“in Hamburg vor, in der er die Verdrängung jüdischer Unternehmer unter nationalsozialistischer Herrschaft untersucht.

taz hamburg: „Arisierung“ist ein Wort aus der Sprache des Unmenschen, wie bestimmen Sie „Arisierung“?

Frank Bajohr: Es handelt sich bei der „Arisierung“um den Transfer jüdischen Eigentums in sogenannten arischen Besitz. Letztlich bezeichnet sie die gezielte wirtschaftliche Existenzvernichtung der Juden.

Die „Arisierung“war der größte Besitzwechsel in der neueren deutschen Geschichte, wenn man einmal von den Enteignungen in der Sowjetisch besetzten Zone bzw. der DDR absieht. Welches Forschungsmaterial stand Ihnen zur Verfügung?

Allein in Hamburg wurden mehr als 1500 jüdische Unternehmen liquidiert. Ich habe mir besonders die Restitutionsakten des Wiedergutmachungsamtes angesehen. Sie enthalten 43.000 Einzelfälle – das zeigt den enormen Umfang der Vermögensentziehungen unter der NS-Herrschaft.

Wurden Juden gleich nach '33 aus der Wirtschaft verdrängt?

Ja, reichsweit waren bis 1938 rund 70 Prozent jüdischer Unternehmen „arisiert“worden. Anders in Hamburg, hier waren es zu diesem Zeitpunkt ungefähr 30 Prozent. Das lag vor allem daran, daß in einer Großstadt wie Hamburg Boykotte schwerer durchzuführen waren. Zudem lebten hier 15.000 Juden, die viertgrößte deutsche jüdische Gemeinde, die in der Tradition jüdischer Selbsthilfe repressive Maßnahmen abzufedern suchte.

Wer führte die „Arisierung“durch?

Führend war der Gauwirtschaftsapparat der NSDAP, in dem vor allem ideologisch orientierte, akademische Aufsteiger aus dem Kleinbürgertum arbeiteten. Hier waren keine traditionellen hanseatischen Kaufleute am Werk, sondern eine nationalsozialistische Wirtschaftselite.

Bedeutete der 9. November 1938 einen Einschnitt bei der „Arisierung“?

Zweifellos. Während sich die „Arisierung“jüdischer Unternehmen in Hamburg bis 1939 eher schleichend vollzogen hatte, nahm sie ab November 1938 eruptive Züge an.

Wer profitierte von der „Arisierung“?

Das zeigt ein Beispiel: Das Korsetthaus ,Gazelle' hatte 18 Verkaufsfilialen in Hamburg, die wurden nicht geschlossen „arisiert“, sondern filialweise verkauft, meistens an vormalige Mitarbeiter. Die skrupellosesten Widersacher der jüdischen Firmeninhaber befanden sich oft unter den eigenen Angestellten. Nutznießer des Enteignungsprozesses war in erster Linie die mittelständische Wirtschaft.Hat sich auch ,Otto Normalverbraucher' an jüdischem Eigentum bereichert?

Sicher! Von Februar 1941 bis zum April 1945 verging in Hamburg kaum ein Tag, an dem nicht jüdisches Eigentum öffentlich angeboten und versteigert wurde. Insgesamt ist in diesen Jahren das Eigentum von circa 30.000 jüdischen Haushalten in Hamburg versteigert und von mindestens 100.000 Hamburgern erworben worden. Da wurde nicht gefragt, wo kommt das her, was ist mit den vormaligen Besitzern. „Die einfachen Hausfrauen auf der Veddel trugen plötzlich Pelzmäntel“, heißt es in dem Lebensbericht einer Zeitzeugin.

Formal trat ja das Deutsche Reich als Eigentümer auf. Das mag neben der Kriegszeit und der Fixierung auf das eigene Leid zur moralischen Immunisierung der Deutschen beigetragen haben. Doch die vorbehaltlose Aneignung des Besitzes deportierter und ermordeter Juden verstrickte die deutsche Bevölkerung in die Vernichtungspolitik und korrumpierte sie zudem.

Fragen: Frauke Hamann

Am 11. November, 19.30 Uhr spricht Frank Bajohr über ,„Arisierung“in Hamburg' (Christians Verlag, 1997) in der Galerie Morgenland, Sillemstr. 79