piwik no script img

Hertha im Höhenfieber

■ Vor dem heutigen Spiel gegen 1860 München versucht Hertha-Trainer Jürgen Röber die Euphorie der Mannschaft nach zwei Siegen zu bremsen

Jürgen Röber legt die Stirn in Falten, zieht den blonden Kopf zwischen die Schultern und hebt mit beschwörendem Unterton zur Gardinenpredigt an: „Wenn ich diese Woche Revue passieren lasse, muß ich sagen, daß mir das einfach zuviel ist. Irgendwann muß man sich doch zurücknehmen.“ Diese Aufforderung vor dem Match gegen 1860 München (heute, 15.30 Uhr, Olympiastadion) gilt seiner Mannschaft, die sich nach zwei Siegen in Serie gegen Karlsruhe und Bremen bereits wie ein Weltmeister fühlt. Röber: „Irgendwo ist da eine riesige Euphorie, das merke ich. Ein, zwei Spiele – und schon sind wieder alle zufrieden. Das ist das Problem.“

Um den kollektiven Größenwahn unter Kontrolle zu bringen, verordnete er seinen Mannen vor dem Match gegen die Bajuwaren ein geheimes Trainingslager irgendwo im Umland. Die vermeintliche Abgeschiedenheit will Röber nutzen, um mäßigend auf seine aufgedrehten „Helden“ einzureden, die nach den zurückliegenden Triumphen offensichtlich die Nase schon wieder zu hoch durch die Gegend tragen. „Ein Anfang ist zwar gemacht, aber wir sind immer noch Letzter“, warnt der sportliche Leiter mit Blick auf die Bundesligatabelle. Vor allem der bisherige Reservist und Mittelfeldspieler Marc Arnold, der nach einer guten Leistung in Bremen plötzlich als Shootingstar durch die Presse geistert, wird in die Schranken gewiesen werden.

Problemfall Nummer eins bleibt jedoch der zum kindlichen Leichtsinn neigende Torhüter Gabor Kiraly, der schon mal einen Gag einstreut, wenn es bei ihm besonders gut läuft. In Bremen beispielsweise stoppte er eine Rückgabe – unmittelbar vor der eigenen Torlinie – mit dem Fuß, anstatt die Situation souverän mit der Hand zu bereinigen. Selbst beim Hobbykick in der Hasenheide würde man dafür bittere Worte der Mitspieler ernten. Röber trieb es den Angstschweiß auf die Stirn. „Noch so ein Ding, und Gabor fliegt aus der Mannschaft.“

Aber auch der Hertha-Coach läßt sich vom grassierenden Höhenfieber anstecken. „Zum zehnten Platz sind es nur vier Punkte.“ Röber hat Angst vorm Fliegen. Fliegt er, oder fliegt er nicht? Vor zwei Wochen schienen die Würfel gegen ihn gefallen zu sein, aber die folgende Miniserie mit sechs Punkten aus zwei Begegnungen rettete ihm vorerst den Job.

Ein ganz linkes Ding befürchtet der Herthaner auch heute im Olympiastadion. 1860 München verfügt über eine ganze Kohorte von Linksfüßlern, die Röber von Natur aus für „die besten Spieler überhaupt“ hält. „Wir müssen gegen 1860 nachlegen.“ Heißt: Die Siegesserie soll unbedingt verlängert werden, denn mit jedem Erfolg entfernt sich Röber aus der Schußlinie seiner Opponenten in der Vorstandsetage, die den Trainer heute wohl am liebsten den „Löwen“ zum Fraß vorwerfen würden. Jürgen Schulz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen