: Uneinigkeit in der Untergrundarmee
Mit dem Austritt einer Reihe führender Mitglieder ist die Spaltung der nordirischen IRA öffentlich geworden. Die Friedensverhandlungen treten auf der Stelle, die Unionisten verzögern, wo sie können ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Die Regierungen in London und Dublin haben gestern versucht, die Bedeutung der IRA- Spaltung herunterzuspielen. Rund 20 führende Mitglieder haben auf einer Armeekonvention im nordwestirischen Gweedore der Irisch- Republikanischen Armee den Rücken gekehrt, weil sie mit den Friedensgesprächen nicht einverstanden sind. Der irische Premierminister Bertie Ahern sagte jedoch: „Ich bin zwar beunruhigt über jede Entwicklung, die den Friedensprozeß gefährden könnte, aber man soll nicht übertreiben. Es geht nur um eine relativ geringe Zahl von Leuten.“
Wie viele einfache Mitglieder die IRA im Sog der Dissidenten verlassen haben, ist nicht bekannt. Einer von ihnen behauptete, es seien 200 Leute gewesen – das wäre ungefähr die Hälfte der Organisation. Die Geheimdienste halten diese Zahl jedoch für maßlos übertrieben. Fest steht, daß keiner der Hardliner der Continuity IRA beigetreten ist, die sich im vorigen Jahr von der IRA abgespalten und seitdem eine Reihe von Anschlägen verübt hat. Bei der fehlgeschlagenen Bombenattacke auf das Kraftfahrzeugamt in Derry hat die Continuity IRA vor neun Tagen zum ersten Mal Semtex benutzt. Bis dato verfügte nur die IRA über den tschechischen Sprengstoff. Vermutlich hat er mit Hilfe von Dissidenten den Besitzer gewechselt.
Sinn Féin, der politische Flügel der IRA, erklärte gestern, daß der IRA-Waffenstillstand „dauerhaft“ sei. Bairbre de Brún, die zur Sinn- Féin-Delegation bei den Belfaster Friedensgesprächen gehört, meinte, die Gefahr für den Friedensprozeß gehe nicht von der IRA aus, sondern „von den Parteien, die nicht an diesem Prozeß teilnehmen wollen“. Zwei der unionistischen Parteien haben ihre Teilnahme von Anfang an abgelehnt, die dritte ist dabei, wendet aber eine Verzögerungstaktik an. De Brún bestritt, daß Sinn-Féin- Präsident Gerry Adams ein mögliches Ende der Waffenruhe angedeutet habe, als er vorige Woche vor der „Unzufriedenheit der Basis“ über die festgefahrenen Verhandlungen warnte.
Als die IRA im Sommer ihre Waffenruhe verkündete, hieß es intern, man werde die Entscheidung Ende November überprüfen: Eine Verlängerung sei vom Verlauf der Friedensgespräche abhängig. Doch die stecken seit Wochen in einer tiefen Krise. Zwar sitzt Sinn Féin seit September gemeinsam mit der Ulster Unionist Party (UUP), der größten nordirischen Partei, am Runden Tisch, doch die Verhandlungen bewegen sich seitdem auf der Stelle. Die UUP hat lediglich ihren Nachwuchs ins Belfaster Schloß Stormont entsandt. „Sie kichern wie ungezogene Schulbuben und werfen uns Schimpfwörter an den Kopf“, sagte ein Mitglied der Sinn-Féin- Delegation. „Man könnte ihr Benehmen kindisch nennen, aber das wäre Kindern gegenüber unfair.“
Auch bei der gemäßigten SDLP, den katholischen Sozialdemokraten, ist der Optimismus, der nach dem Waffenstillstand herrschte, verflogen. Ein Sprecher sagte: „Die erste Phase, in der alle Beteiligten ihre Positionspapiere vorgestellt haben, ist vorbei. Jetzt ist der Zeitpunkt für Verhandlungen gekommen. Wenn sich bis Ende November nichts tut, stecken wir in großen Schwierigkeiten.“
Die Papiere, die die UUP vorgelegt hat, seien lächerlich, sagte der Sinn-Féin-Mann: „Zur Verfassungsfrage haben sie gerade mal drei Sätze vorgelegt.“ Die UUP verlangt, daß die irische Regierung die beiden Paragraphen aus der Verfassung streicht, in denen Anspruch auf Nordirland erhoben wird. UUP-Chef David Trimble sagte, solange das nicht geschehe, habe es keinen Sinn, mit den Regierungen in London und Dublin zu verhandeln.
Sinn Féin und die SDLP vermuten, daß die UUP ohnehin nicht die geringste Absicht hat, ernsthaft am Verhandlungsprozeß teilzunehmen. Die Strategie, so befürchten sie, ziele vielmehr darauf ab, die IRA zur Beendigung des Waffenstillstands zu treiben. „Den Unionisten würde es besser passen, wenn die IRA wieder Krieg führen würde“, sagte der Sinn-Féin-Delegierte. „Wenn die beiden Regierungen nichts unternehmen, bricht der Friedensprozeß zusammen.“
Von den „vertrauensbildenden Maßnahmen“, die im Sommer von der britischen Regierung angekündigt worden sind, ist bisher wenig zu spüren – im Gegenteil: In vielen katholischen Vierteln Nordirlands hat die britische Armee ihre Aktivitäten seitdem verstärkt. Und die vor Monaten versprochene Verlegung von vier IRA-Gefangenen, die seit 22 Jahren in englischen Gefängnissen sitzen und nach Irland überstellt werden sollen, läßt noch immer auf sich warten. Viel Zeit bleibt nicht, um den Friedensprozeß am Leben zu erhalten.
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