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Li Peng läßt den Jangtse sperren

Der Bau des umstrittenen Drei-Schluchten-Staudamms in China tritt heute mit der Sperrung und Umleitung des drittgrößten Flusses der Welt in seine entscheidende Phase  ■ Von Sven Hansen

Berlin (taz) – In Sandouping bei Ychang in der zentralchinesischen Provinz Hubei soll heute der Jangtse blockiert und umgeleitet werden. Die feierliche Zeremonie für die zum nationalen Großereignis erklärte Flußumbettung wird landesweit live vom Fernsehen übertragen. Der drittgrößte Fluß der Erde wird dann für die nächsten sechs Jahre durch einen 3,5 Kilometer langen Seitenkanal an der Baustelle des Drei-Schluchten- Damms vorbeigeleitet. Der Kanal wurde bereits Anfang Oktober für die Schiffahrt eröffnet.

Die Umleitung des Flusses soll den Bau der 185 Meter hohen und 2,3 Kilometer langen Staumauer für das größte Wasserkraftwerk der Welt ermöglichen. Die staatlich kontrollierten Medien vergleichen den Bau mit dem der chinesischen Mauer vor 2.000 Jahren.

„Der Traum vom Drei-Schluchten-Projekt zeigt das Verlangen des chinesischen Volkes, ein stärkeres China aufzubauen“, schrieb die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua am Dienstag dieser Woche. Kritik an dem Projekt aus dem In- und Ausland gilt als anti-chinesisch. Einheimische Kritiker wurden mundtot gemacht, die Superlative des Projektes stolz betont. Bei der heutigen Feier in Anwesenheit von Premier Li Peng soll eine 40 mal 27 Meter große chinesische Fahne gehißt werden.

Der Staudamm ist das Lieblingsprojekt von Premierminister Li Peng, einem ehemaligen Elektroingenieur. Seit Wochen berichten die Medien ausführlich über die Flußumbettung. Nur die US- Reise von Staatschef Jiang Zemin bekam mehr Aufmerksamkeit.

Der Premier verspricht eine gesicherte Energieversorgung. Die 26 Generatoren mit insgesamt 18.200 Kilowatt sollen nach der Fertigstellung des Kraftwerks im Jahre 2009 jährlich 85 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugen, ein Neuntel der heutigen Produktion. Auch soll der Damm die verheerenden Fluten eindämmen, die regelmäßig die Bevölkerung am Jangtse heimsuchen und in diesem Jahrhundert schon 300.000 Menschenleben gefordert haben. Darüber hinaus sollen künftig auch die flußaufwärts gelegenen Großstädte Chonqing und Chengdu mit größeren Schiffen zu erreichen sein.

Kritiker des Projektes halten die Ziele Energieversorgung und Hochwasserschutz dagegen für unvereinbar. Da der Damm auf die flußabwärts gelegenen großen Zuflüsse keinen Einluß habe, sei der Schutz vor den Fluten des Jangtse begrenzt. Der chinesische Hydrologieprofessor Huang Wanli warnt gar vor verheerenden Überflutungen am Oberlauf. Durch die Stauung werde es zu großen Schlammablagerungen kommen, die den Wasserspiegel steigen ließen.

Da der 86jährige Huang aufgrund seines Alters keine Repressionen mehr zu befürchten hat, schrieb er sechs Petitionen an Jiang Zemin. „Ich habe Jiang gewarnt, daß es zu einer Revolution kommen könnte, wenn der Damm gebaut wird. Die Menschen in der Provinz Sichuan sind gegen den Stausee“, sagt Huang.

Die Bevölkerung wurde zumindest nie gefragt. Als der Nationale Volkskongreß, Chinas Scheinparlament, 1992 über das Projekt abstimmte, verweigerte ungewohnterweise ein Drittel der Abgeordneten die Zustimmung.

Neben den Kosten von offiziell 200 Milliarden Yuan (44 Mrd. Mark), gilt die Frage der mit 40 Milliarden Yuan (8,8 Mrd. Mark) veranschlagten Massenumsiedlungen als Achillesferse des Projektes. Die Zahl der Umzusiedelnden, die dem 660 Kilometer langen Stausee weichen sollen, schwankt zwischen 1,13 und 1,8 Millionen. Bis Ende September wurden 82.500 Menschen umgesiedelt, 10.000 weitere sollen bis Jahresende folgen. „Die Frage, ob wir umziehen wollen oder nicht, stellt sich nicht. Das hier ist China. Der Staudamm ist ein nationales Projekt, und wir müssen umziehen“, sagt eine Fau aus der Stadt Fengdu.

„Uns wurden Entschädigungen versprochen, aber wir wissen nicht, wieviel. Vieles ist unklar“, klagt eine andere Bewohnerin Fengdus. Fest steht, daß es nicht für alle umzusiedelnden Bauern gleichwertige Ersatzäcker geben wird, da die Böden in den Höhenlagen nicht so fruchtbar sind wie am Fluß. In den Fluten werden neben einigen Müllkippen auch zahlreiche Kulturgüter am Fluß verschwinden.

Vor der heutigen Sperrung des Jangtse äußerten US-amerikanische Experten, die im Oktober auf Einladung Chinas die Baustelle besuchten, Zweifel an der Sicherheit des Umleitungsdamms. Die Experten vom Ingenieurbüro Sklar, Luers & Associates bescheinigten den chinesischen Verantwortlichen „eine überraschend hochmütige Haltung gegenüber Risiken“.

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