: Kleine Soziotopographie des Werken-Lehrers Von Michael Rudolf
Kurz bevor den Herbststürmen die Puste auszugehen droht und die alljährliche Sperrmüllsammlung ansteht, können wir ihn wieder beobachten. Gehetzten Blicks schnürt er durch Wohn- und Gewerbeparks und mischt sein hektisches Grunzen in das vertraute Orchester der Wanderratten: der längst ausgestorben geglaubte Werken-Lehrer. Lehrer und Handwerker, verwurstet zu einem explosiven Gemisch, repräsentiert von Existenzen, bei denen es weder zum einen noch zum anderen gereicht hat. Die letzten Irr- und Ausläufer der Sozialdemokratie: Zwei linke Hände? Wer weiß, wozu's gut ist. Eine Gattung, die die Kapitulation vor der Wirklichkeit ästhetisiert wie keine andere, die im Werken-Unterricht einen einzigen Racheakt an den chronisch Begabteren, an den mit Schönheit und Talent Geschlagenen sieht.
In einem schummrigen Kellergelaß lehrt der Werken-Lehrer sie unsinnige Bastelobjekte bauen, mit denen er eine neue Wirklichkeit zu schaffen trachtet. Unzählige zieht er zu sich hinab in das finstere Reich der Makrameearbeiten, der niemals Licht und schon gar nicht Trost spendenden Nachttischlampen und blau gehauenen Daumen. Wie frisch aus der Maschinenölfriteuse gezogen, mit gleißendem Werkzeug und glasigen Augen pflanzt er den giftigen Keim in unschuldige Kinderseelen. Da formt er sie nach seinem Ebenbilde. Und wartet, bis sie aufgeht, die Saat, bis sie Verheerung und Unbill über uns bringen wird. Eine Modellbaukastenwelt möglichst, die seine Zöglinge nach seinem teuflischen Masterplan als Heim- und Handwerker oder, noch schlimmer, Werken-Lehrer endgültig zugrunde reparieren oder mit ausnahmslos unnützem Tand vollgebastelt haben werden. In der die Verständigung nur mit geschraubtem Werk- und Freibankdeutsch vonstatten gehen kann, in die sich aber nie, nie! auch nur ein zerbrechlicher Hoffnungsstrahl der Wärme verirren wird und aus der es kein Entrinnen gibt.
Dann kichert der autogame Karbunkelzüchter sich eins in seinem Verschlag, in dem selbstredend nichts funktioniert, überantwortet hernach sein Genital dem Schraubstock und dost der nächsten Sperrmüllperiode entgegen. Dann findet sich bestimmt etwas, was man irgendwie für den Unterricht gebrauchen kann. Rast- und ruhelos schnüffelt und wühlt er in Bergen rostiger Schrauben, verbogener Stehlampen und Staucherfettnäpfchen.
Das, liebe Leser, hat die Natur sehr weise eingerichtet. So mancher Werken-Lehrer wird auch heute wieder versehentlich mit aufgeladen werden und spürt die unbarmherzige Kraft der Müllzerstampftechnik, spürt, wie ein Paar madenzernagte Filzstiefel in seinem Torso neue Heimstatt sucht, spürt, wie er langsam eins wird mit Nachbars Fernsehapparat. Überrascht wird er vermerken, wie scheinbar mühelos der Herbstwind, der fahrige Gesell, mit dem schon aufbrechenden Verwesungsgeruch seiner weiter hinten zusammengefalteten Artgenossen ein brüderliches Verhältnis einzugehen weiß, und wird noch fix die Gasformel hochrechnen, bevor die Stromzufuhr seines Lebenslämpchens für immer unterbrochen wird. Als handlicher Preßblock findet er dann ewige Ruhe auf den Sondermülldeponien, und unser vierbeiniger Freund, die Ratte, hat auch etwas davon.
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