Kreisch! Von Carola Rönneburg

Bekanntermaßen frißt das Erwachsenwerden eine ganze Menge Zeit; bei mir jedenfalls hätte man noch vor wenigen Jahren fairerweise das Jugendstrafrecht anwenden müssen, hätte ich denn etwas angestellt; am Ende eines langen Sommers war es dann aber doch soweit. Meine weitgereiste Freundin Frau L. berichtet dagegen von einer schlagartigen Erkenntnis. Sie sei eines Morgens geradezu erleuchtet aufgewacht, diesen Gedanken im Kopf: „Du bist ab sofort erwachsen.“ Sie habe das daraufhin ihrem zweijährigen Sohn mitgeteilt, der erfreut reagiert habe. Seitdem fiele ihr vieles leichter. Sie vermisse aber die Möglichkeit, jemand anderen außer sich selbst zur Rechenschaft zu ziehen, wenn sie es gerade schwerhabe.

Erwachsensein ist eben Ehre und Bürde zugleich. Zwar darf man essen, was man will, andererseits verliert man das Recht, mit den Füßen zu trampeln, die Arme zu verschränken und gleichzeitig die Luft anzuhalten: Wer heute doch nicht mehr spazierengehen will, muß seinen Stimmungsumschwung ausführlich begründen. Und vertragen ist erst recht nicht mehr so einfach wie früher.

So geht das hin und her zwischen Vor- und Nachteilen. Daß die Vorzüge des Erwachsenseins schließlich überwiegen, zeigt sich manchmal erst später, dann aber deutlich. Das Thema, liebe Neuerwachsene, lautet „Furcht“. Unsereins, so viel steht fest, schläft heute sehr viel besser als damals, denn Monster meiden 140x200-cm-Matratzen und Erwachsenenkleiderschränke, in die – wir blinzeln ins Halbdunkel – auch der Geist dort hinten in der Ecke gehört, und zwar gefaltet. Weil das so ist, dürfen wir schon seit geraumer Zeit selbst über unser Fernsehprogramm bestimmen.

Also gucken wir zu später Stunde „Dressed to Kill“ von Brian De Palma. Zu zweit, weil man sich darüber unterhalten kann, wo die Geschichte nicht der Logik folgt, und weil wir den Film aus dem Kino kennen.

Dann kommt die Schlafenszeit, und wir ziehen uns in unser monsterfreies Bett zurück. Die Wohnungstür ist nur zugezogen, nicht abgeschlossen. Das reicht, mehr ist nicht nötig, da ja der Fernsehbegleiter neben einem liegt. Das Knacken im Flur? Das ist immer so. Neu ist allerdings das Quietschen aus dem Badezimmer, und auch für den seltsamen kalten Luftzug habe ich keine Erklärung. Aber was soll auch schon sein – der Fernsehfreund schnorchelt gleichmäßig, da sollte man dasselbe tun. Bloß schläft der gar nicht, sondern setzt sich plötzlich auf: „Was war das?“ Mit klopfenden Herzen klammern wir uns schnatternd aneinander und horchen gespannt. Nichts, natürlich. Oder die Nachbarn, überlegen wir. Entwarnt sinken wir zurück in die Kissen. Langsam kehrt wieder Ruhe ein, vom häßlichen Kratzen am Türschloß abgesehen. Was nun? Aufstehen und nachgucken? Ganz alleine? Nein: Der Fernsehbeschützer schreitet zur Tat. Er schlägt die Bettdecke zurück und nimmt mich an der Hand. Ganz leise schleichen wir aus dem Zimmer. Auf dem Weg in die Küche halten wir kurz an der Wohnungstür inne und den Atem an: nichts.

In der Küche kramt der Fernsehretter nach dem Schnaps und gießt zwei schöne Gläser voll. Zigaretten sind auch noch da. Da ist er wieder: der unschlagbare Vorteil, erwachsen zu sein.