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Cheats, Codes & Strategy-Guides

■ Vom "Weihnachtsknüller" bis zum "Topseller" testet sich "Bravo-Screenfun" durch die Computerspielwelten und in die Herzen der "Bravo"-Boys. Man könnte auch Werbung sagen

Auf der ersten kunterbunten Doppelseite ist Bravo Screenfun noch ganz Bravo: „Im ersten Teil hatte die stahlharte Lara ihre Haare noch festgezurrt“, steht da neben einer Abbildung, „jetzt schwingt der Zopf bei jeder Bewegung mit.“ Und gleich daneben noch so ein Satz: „Im eiskalten Tibet trägt Lara Croft eine Bomberjacke mit Fellkragen.“ – Käme Blümchen in ihrem neuesten Musikvideo mit Zopf und Bomberjacke angetanzt, wäre das den Münchner Jugendinfotainern wahrscheinlich auch eine doppelseitige Fotostory wert.

Bravo (Auflage 1,2 Millionen) verliert Leser, da wird eben diversifiziert, und so gibt es nach Bravo- Girl und Bravo-Sport nun auch Bravo-Screenfun für „mehr Spaß am Bildschirm“. Und weil man laut TV-Spot „mehr als nur eine Spielezeitschrift“ sein will, muß man wohl auch mit Informationen rechnen wie den Styling-News virtueller Action-Adventure-Heldinnen vom Schlage einer Lara Croft.

Schließlich hatte sich die Screenfun-Redaktion schon in der Testausgabe im April diesen Jahres an diversen Bravo-Crossover-Themen versucht, hatte Marlis (16) und Stefan (18) beim Online-Flirt belauscht, hippe „Screen-Wear“ vorgestellt – und mit diesem Mix auf Anhieb über 150.000 Exemplare verkauft. Doch weil der für alle schnellen Bedürfnisse gute Heinrich-Bauer-Verlag (siehe Kasten) in der Zwischenzeit akribisch marktforschen ließ, hat Bravo- Screenfun nun, da sie Monat für Monat 350.000fach für vier Mark in die Kinderzimmer wandern soll, mit dem Starschnitt-Mutterheft kaum noch etwas gemein. Bravo- Klassiker wie „Power-Grooves aus dem PC: So bastelt DJ Bobo seine Hits“ nämlich, so Chefredakteur Anatol Locker (33), gehen der Screenfun-Zielgruppe schlichtweg „am Arsch vorbei“. Wer den Großteil seiner Freizeit vorm Computer(spiel)bildschirm verbringt, den interessiert eben auch in den Spiel- und Schulpausen nur das eine. Und das bietet Screenfun hundertfach: Über 100 Jump-&- Run-, Speed-, Sport-, Fight- und Flight-Spiele wurden „gecheckt“ und zu weiteren 100 nochmals rund 600 „Cheats, Codes und Strategy-Guides“ zusammengetragen.

Bei soviel sachdienlicher Info wird es alsdann wohl auch kaum einen Gameboy (Girls lesen kein Screenfun ...) interessieren, daß die eingestreuten Anzeigen vom redaktionellen Teil kaum zu unterscheiden sind. Wozu haben sich die großen Spielehersteller mit trademarkgeschützten Schriftzügen ausgestattet, wenn nicht auch dazu, diese groß und bunt über Screenfun-Artikel zu drucken? Zum Handlanger der Industrie mache man sich damit jedenfalls, so Locker locker, „ganz sicher nicht. No way!“ Schließlich seien die minderjährige Leser „die kritischste Zielgruppe, die man sich vorstellen kann“. Offenbar Grund genug ein „einfach gestricktes Such-und-Baller-Häppchen mit technisch veralteter Grafik“ dennoch mit „doof, macht aber Spaß“ klassifiziert und andere mit dem größten Komplimenten der Screenfun-Welt als „weihnachtlicher Topseller“ und „Weihnachtsknüller“ adelt?

Alles andere ist jedenfalls auch in Screenfun schnell abgehandelt: hier zwei Doppelseiten Kino, dort zwei Doppelseiten TV, dazu drei Seiten Internet – und wenn Leserbriefschreiber wie Johannes, Andreas und Sven das alles auch noch „echt super“, „total super“, und „echt klasse“ finden, können am Ende alle echt total zufrieden sein: die Leser mit Screenfun,Screenfun mit den Lesern – und Nintendo und Sega und Sony und Amiga und Microsoft mit beiden. Christoph Schultheis

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