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Richter Gnadenlos erhält Dämpfer vom Landgericht

■ Er dachte zu sehr an die Generalprävention und wollte eine Frau wegen einer Sachbeschädigung für zwei Jahre hinter Gitter bringen. Das Landgericht wandelte das Urteil um

Hamburg (taz) – Was für ein Auto Amtsrichter Ronald Schill fährt, ist nicht bekannt. Bekannt ist, daß er in Hamburg-Eimsbüttel wohnt, wenige Ecken von der Straße entfernt, in der im Frühjahr 1996 plötzlich mehrere Autos durch Kratzer im Lack beschädigt wurden.

Nach eigenem Bekunden handelte Schill nicht im eigenen Interesse, sondern quasi als Retter der deutschen Volkswirtschaft, als er im Oktober vergangenen Jahres die mutmaßliche Autokratzerin für zweieinhalb Jahre hinter Gitter schicken wollte. Das Urteil wurde gestern vom Hamburger Landgericht als zu schwer befunden und in ein Jahr auf Bewährung umgewandelt. Ein wenig überraschendes Ergebnis: Immerhin war nicht nur die Angeklagte, die 46jährige Arzthelferin Agnes B., sondern auch die Staatsanwaltschaft zu ihren Gunsten in die Berufung gegangen.

Ronald Schill, der bereits „Richter Gnadenlos“ genannt wird, fühlt sich nicht nur zum Urteilen berufen. Der forsche Amtsrichter will die Hamburger Justiz auf den rechten Pfad zurückführen, und der ist für ihn dort, wo die Strafe eine abschreckende Wirkung hat. Von den Medien hofiert, tingelt er durch Talkshows, polemisiert bevorzugt gegen Schwarzafrikaner und für die Wiedereinführung der Todesstrafe. Für seine rechtspolitischen Träume schafft er im Gerichtssaal praktische Beispiele. Jedes Urteil begründet er mit „Generalprävention“. Die Gefängnisstrafe für die Autokratzerin sei nötig gewesen, da durch das „massenhaft auftretende Phänomen des Vandalismus“ die Lebensqualität derer gemindert werde, die „einen erheblichen Teil ihrer Einkünfte in ihren Wagen stecken“.

Wer soll sich noch ein Auto kaufen, wenn es doch gleich wieder beschädigt wird? Die Folge: erhebliche volkswirtschaftliche Schäden. Und schuld sei Agnes B. aus Hamburg-Eimsbüttel. Ebenso sollte etwa der Ghanaer Arafat A. dafür büßen, daß „der Asyl- und Sozialmißbrauch erschreckende Ausmaße angenommen“ habe – als abschreckendes Beispiel eines Sozialmißbrauchers und anderen AusländerInnen zur Warnung. In seinem Eifer übersah Schill allerdings, daß Arafat A. niemals Sozialhilfe beantragt hatte. Daran erinnerte das Landgericht im Oktober und hob Schills Urteil wieder auf. Auch der Inder Ashwani K. ist wieder auf freiem Fuß. Anhand seiner Falles wollte Schill „ein Signal gegen die Mißachtung des Asylrechtes“ setzen. Ashwani K. hatte kein Asyl beantragt, sondern sich eine Aufenthaltserlaubnis als angeblicher EU-Bürger erschlichen. Zweitens, so die Staatsanwaltschaft in der Berufung, habe er diese genutzt, um auf Lohnsteuerkarte zu arbeiten und Sozialabgaben zu zahlen.

Nicht nur die Angeklagten, auch Schill sitzt auf der Anklagebank, wenn seine Urteile neu verhandelt werden. Wieviel Generalprävention erlaubt, wieviel verboten ist, ist dank seiner Rechtsprechung eine heftig diskutierte Frage. Im Prozeß gegen den Inder Ashwani K. betonte etwa die Staatsanwältin: „Die Vorstellung der abschreckenden Wirkung darf niemals das Maß der konkreten Schuld überschreiten.“ Niemals dürften an einzelnen Menschen Exempel statuiert werden. Elke Spanner

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