piwik no script img

Mit der Elektronik gegen den EDV-Wahn

■ Irgendwie Jazz: die einflußreiche Zukunftsmusik des englischen Duos Coldcut

„HipHop“, formulierte einst Gang Starrs DJ Premier, „ist das nächste an Jazz, ohne Jazz zu sein.“Das gilt zweifellos für ihn und eine Handvoll anderer Produzenten, doch waren es zwei Briten, die Loops und Samples erst zu jener Freiheit verhalfen, die solche Worte rechtfertigt. Der Startschuß dafür war der Track „Say Kids, What Time Is It?“, wo zum ersten Mal ausschließlich aus Versatzstücken zusammengesetzte Musik im Songformat veröffentlicht wurde. Natürlich war die Welt dafür 1986 noch nicht bereit, und so verdingten sich Jonathan Moore und Matt Black, die Menschen hinter den Maschinen, als Zulieferer und katapultierten mit – ebenso revolutionären – Houseproduktionen Lisa Stansfield in die Charts.

Als Coldcut machte sich das Duo selbständig und veröffentlichte eine erste LP, die zwischen Pop und Beat-Artistik vermittelte und sogar versilbert wurde. Doch der kreative Eigensinn der Männer, die schon 1981 aus Clubs geworfen wurden, weil sie es gewagt hatten, Weltmusik zwischen Funk und Soul zu mischen, war letztlich zu sperrig für die Industrie und brachte ihnen bald die Freiheit, was sich zwar als finanzieller Abstieg, aber auch als glückliche Fügung für die Szene erwies. Denn die Lektionen, die Coldcut auf ihrer Reise durch die Charts gelernt hatten, ermöglichten ihnen, Wissen an andere weiterzugeben. Damit, wie auch mit der Gründung ihrer Firma Ninja Tunes, leisteten Coldcut dem Aufbau einer neuen Indie-Szene Vorschub.

Eine Szene, die unter ihrer Führung behutsam wuchs. Denn sie wollen ihre Musik niemandem in den Rachen stopfen, wie Matt betont. „Wenn sie nicht die Intelligenz haben, um vom Fußboden aufzusehen, warum sich anstrengen? Wir machen unsere Musik, mischen sie mit Information, und das reicht.“Diese Informationen sind der Weg für Coldcut, denen es längst nicht mehr ausreicht, HipHop oder Elektronik weiterzuführen. Ihr Verständnis von Freistil kreuzübert nicht zwischen Genres, sondern zwischen Medien. So bestimmt ihre neue CD neben der Einbindung so unterschiedlicher Gästen wie Jello Biafra und Tabla-Meister Talvin Singh ein zweiter Datenträger mit Spielen und interaktiven Musikprogrammen für den Computer. Aber Coldcut sind nicht dem EDV-Wahn verfallen, ihnen ist klar, daß Technologie nicht gleichbedeutend mit Fortschritt ist. Ihre grenzenlose Kreativität hat stets menschliche Anbindung. Klingt irgendwie nach Jazz.

Holger in't Veld

mit DJ Food u.a.: Mo, 17. November, 20 Uhr, Markthalle

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen