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Geburtstagslotterie

■ Ausländerbehörde und Polizei legen willkürlich das Alter von Flüchtlingen fest

Als der Togolese K. Anfang November während der „Jugendlichensprechstunde“der Ausländerbehörde seinen Asylantrag stellen wollte, fand er sich plötzlich in Handschellen wieder. Im Polizeihochhaus am Berliner Tor wurde er erkennungsdienstlich behandelt und erst nach dreizehn Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt.

Den Grund für die Spezialbehandlung verrät ein Dokument, das K. anstelle seiner konfiszierten Ausweispapiere erhielt. Danach wird dem Flüchtling Urkundenfälschung vorgeworfen. „Das angegebene Geburtsdatum weicht erheblich vom äußeren Erscheinungsbild ab“, protokollierte die Polizei. Der ausweislich seiner Papiere 13jährige Togolese „wird von hier aus auf mindestens 18 Jahre geschätzt“, heißt es in dem vom Landeskriminalamt ausgestellten Paßersatz.

Wie K. erging es in den vergangenen Wochen vielen Flüchtlingen. Über 100 MigrantInnen erhalten monatlich von der Ausländerbehörde oder der Polizei nach Inaugenscheinnahme ein neues Alter verpaßt, verriet ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde Mitgliedern des Hamburger Flüchtlingsrates.

Der Hintergrund der Geburtstagslotterie: Nur Flüchtlinge, die älter als 16 Jahre sind, dürfen laut Asylverfahrensgesetz in andere Bundesländer „umverteilt“werden. Jüngere Flüchtlinge müssen hingegen in einer Jugendhilfeeinrichtung des Bundeslandes aufgenommen werden, in dem sie ihren „Erstkontakt“mit der Ausländerbehörde hatten. Doch genau diese MigrantInnen will Hamburg offenbar nicht mehr dulden.

„Lediglich in Einzelfällen“, so weiß die GAL-Bürgerschaftsabgeordnete Anna Bruns, hätten bis vor wenigen Monaten Ausländerbehörde und Polizei die Altersangabe junger, vor allem afrikanischer, Flüchtlinge willkürlich nach oben korrigiert. In der Regel aber wurden Asylsuchende, an deren Alters-angaben Zweifel bestanden, zum Amt für Soziale Dienste geschickt, das darüber entschied, ob es eine Vormundschaft für den Flüchtling beantragt. Geschah dies, so wurde das von dem Migranten angegebene Alter von der Ausländerbehörde in der Regel akzeptiert. Er konnte in Hamburg bleiben.

Anders seit kurzem: Der Togolese K. wurde bereits im Mai erstmals von der Ausländerbehörde in die Gruppe der über 16jährigen eingestuft und in ein Flüchtlingslager in Mecklenburg-Vorpommern überstellt. Dort aber schätzte man, daß der Flüchtling weit jünger sei, als von den Hamburger Behörden behauptet, und schickte ihn postwendend – return to sender – in die Hansestadt zurück. Marco Carini

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