: Dem Ende entgegen
■ Lydia Lunch und Jack Sargeant lasen im Lagerhaus
„The best of fucking is – it makes the cigarette taste better afterwards.“(Jack Sargeant)
Kann sich ein Tauber äußern über ein Popkonzert? Natürlich. Im Magen spürt er ein Vibrieren und findet darüber seinen ganz eigenen Zugang zur Musik. Darf ein Englisch-Sprachgestörter erzählen von einer englischsprachigen Lesung? Denke schon. Es gibt viel zu entdecken im Reich der Stimm-Modulationen. Auch in ihnen ist „the real mood“eines Textes abgespeichert.
Die Modulationen kamen neulich, im Lagerhaus, von Lydia Lunch und Jack Sargeant. Im Freigehege der Burroughs-, Bukowski- und Millerkosmen wollten diese nicht Platz nehmen auf einem Stuhl, sondern standen auf beiden Beinen vor dem Mikro und 50 Jungen und Mittelalten.
Lydia Lunch wiegte die stärker gewordenen Hüften im länger gewordenen, eng gebliebenen Schwarzen zu den verborgenen Rhythmen ihres Romans. „Das Tagebuch eines Raubtiers“heißt er, ist er, und unmerklich schleicht sich Lydia Lunch vom biographischen Erzählen über ihr New Yorker Leben ins Fiktive des Romans hinein: „Los Angeles. Mekka des Egoismus, gepflastert mit zerschmetterten Träumen, gebrochenen Herzen... Aber etwas Größeres ist in Reichweite...“Die Ikone des Undergroundpop erzählte auswendig. Ob sie ihre Texte immer wieder zum Vergnügen spricht, so wie ein Klavierspieler eine Beethovensonate immer wieder spielt, weil Musik eben nicht durch Bekanntheit vernichtet wird? Jedenfalls sind genau wie bei Pop-Texten auch keine strengen ästhetischen Kriterien anzulegen. Ein Satz funktioniert, wenn er gut im Ohr liegt: „There she laid, naked, in the light of the TV.“Er schillert in der Magie seiner Hard-Lifestyle-Wörter: Cornflakes, Kaffee, Sperma, Autoradio, das enge T-Shirt, Busen. Inkunabeln der Konsum-Marlboro-Welt wirbeln ineinander mit Körper-Sprache. Dazwischen blitzen Logos: Die Kulthardcoreband Black Flag und „my good friend Jack Daniels“.
All das fügt sich ein in eine Sprachmelodie, die das Ende sucht. Der Schwerpunkt der Sätze ist nicht ihr aufsteigender Anfang, sondern das Absinken der Stimme dem Schlußpunkt entgegen. Nicht müde oder verzweifelt, sondern satt, sonor, zynisch, zufrieden wie das Schnurren einer Raubkatze. bk
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen