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What's hot, what's notAugen zu und durch: Es rumpelt im Karton

■ Tinseltown von Saubermännern umzingelt! Geschmack in und um Hollywood herum

Über den Geschmack ist mit Sicherheit nur bekannt, daß er keiner der uns bekannten exakten Wissenschaften zuzurechnen ist. Da der frühzeitig an Alkoholika verstorbene Musiker Rory Gallagher einen exzellenten Geschmack in Getränkefragen hatte und seine Band außerdem mal Taste nannte, wollen wir die Lehre vom Geschmack zu seinen Ehren hiermit Taste- ologie taufen.

Die Taste-ologie beschäftigt sich nicht nur mit dem Geschmack, dem Haben oder Nichthaben des „G.“, sondern – sporadisch und subjektiv, denn es ist ja keine Wissenschaft – auch mit der Instrumentalisierung desselben. Meister aller Klassen der Taste-ologie sind nicht die Künstler, denn die haben Geschmack nicht nötig, sondern Kunstsammler, Burberry-Träger und Politiker. Unter den letzteren besonders die amerikanischen.

Julia Roberts hat einen Fehler gemacht. In „Die Hochzeit meines besten Freundes“ zieht sie nervös an der Zigarette. Hillary Clinton ist darob empört: „Das vermittelt unseren Kindern die falsche Botschaft!“ Al Gore tobt: „Stars, die im Film rauchen, machen es den Eltern schwer.“ Und selbst der arglosen „Dr. Quinn“, die doch nur eine Fernseh-Ärztin aus Leidenschaft ist, droht die Ächtung, weil sie auf dem Bildschirm den ihr angetrauten Ehemann küßte – „sexual content“.

Strafverschärfend wirkt solches Verhalten, seit Bill Clinton im Frühjahr dieses Jahres Modezeitschriften wie Vogue öffentlich für die Propagierung des sogenannten „Heroin- Chics“ kritisierte, weil der zur Popularisierung der Droge beitrüge. Anna Wintour, die Herausgeberin der amerikanischen Vogue, parierte den Angriff im Editorial der August-Ausgabe des Hefts mit der Behauptung, daß Vogue niemals ausgezehrte, düstere Junkies gefeatured hätte. Was stimmen könnte. Man weiß ja nicht genau, ob so ein vorgeblich apathisches Model mit schwarzen Lidschatten nun Junkie ist oder nicht, ob es nur sein Essen wieder ausbricht oder einfach kokst oder alles zusammen. Und letztlich wäre einem das auch vollkommen egal.

Die Panik, die Wintours schlaffes Dementi trotz aller „Kunst-Abers“ andeutet, macht insofern neugierig, als die U.S. Vogue kein dösiges Bilderheftchen wie die deutsche Ausgabe ist, sondern ein besonders im Feature-Teil anspruchsvolles Magazin, das sich keinem tumben Redneck, sondern einem – nun ja – „fortschrittlichen“ Präsidenten, Liberalen und Demokraten zu stellen hat. Wintour, Hillary Clinton und Schauspieler wie Harrison Ford, der sich schon mal vorsichtshalber selbst vor Start eines Films der Unkorrektheit bezichtigt, benehmen sich ähnlich: Wenn ich die Augen schließe, ist das Monster nicht da. Wenn Sex, Gewalt, Rauchen und Schimpfwörter im Film nicht auftauchen, gibt es sie nicht. Daß es dabei kräftig rumpelt im Karton, stört nicht weiter. So war Hillary Clinton auch sauer auf Brad Pitt, weil der in „Sleepers“ rauchte, verlor aber kein Wort darüber, daß es im selben Film Vergewaltigung, Kindesmißhandlung und Mord satt gab.

Hillary sollte anfangen zu rauchen, dann hätte sie weniger Geld für die geschmackvollen Friseure, die ihr Haar (und vielleicht auch ihren Kopf) auf dem Gewissen haben. Und noch etwas: Letztes Jahr hat uns 007 mit „Goldeneye“ schrecklich gelangweilt. Keine Damen warf er, den man doch als Damen- Taste-ologen schätzte, mehr aufs Laken. Kein feindliches Dekolleté drängte unseren Bond an Abgründe. Keine Havanna wippte in seinem Mundwinkel. „Der hat wohl keen Friseur“, sagt man in Berlin, wenn man Unverständnis auszudrücken wünscht. Tja. Wo soll das alles enden, James? Du als neuer Puritaner, während Scarlett O'Hara kurz mal ein Warnschild für das Publikum aufpflanzt, weil ihre Taille nur 51 cm schmal ist und sie außerdem gleich von Rhett Butler geküßt wird: Vorsicht, Magersucht & Adult situation. Anke Westphal

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