Null Neues

■ Lesung zum Kriegsende in der Kantine des Deutschen Schauspielhauses

Stunde Null? war nicht die einzige Frage, die auch nach der Lesung von Texten zum Leben nach dem Kriege in der Kantine des Schauspielhauses am Freitag abend offenblieb. Weder wurden der oder die Autoren der Texte im Programm genannt, auch die Schauspieler und Schauspielerinnen mußte man wohl kennen. Neulinge in der Kantine sind eben selber schuld.

Aber was bezweckte diese Veranstaltung überhaupt? Eine satte Stunde lang wurde ein einförmiger Text – oder waren es vielleicht mehrere? – recht gleichmäßig vorgelesen. Da half es wenig, daß sich vier Stimmen abwechselten: zwei Herren fortgerückten Alters und zwei optisch erfrischende junge Frauen. Niesen, Räuspern, Hüsteln im Theaterraum ist eigentlich immer ein schlechtes Zeichen, aber was soll man davon halten, wenn das auf der Bühne passiert?

Läßliche Sünden angesichts des staubtrockenen Wortmaterials, das die Schauspieler zu wälzen hatten. Fensterglas war nach dem Krieg Mangelware; überall drängten sich Menschen auf den Straßen, in den Zügen; die hungernden und frierenden Städter klaubten auf dem Land zusammen, was nicht niet- und nagelfest war: All das ist mehr als bekannt. Das wird auch nach fünfzig Jahren nicht mehr neu. Diese Geschichten haben wir alle entweder selbst noch erlebt oder auf Familienfeiern bis zum Abwinken gehört. Gibt es sonst wirklich nichts über die ersten Jahre nach dem Krieg zu erzählen? Keine jüdischen Nachbarn, die wie durch ein Wunder überlebt hatten und jetzt zurückkamen? Keine Frauen, die inmitten des Chaos entdeckten, welche Kräfte in ihnen steckten? Keine Rückkehrer aus dem Exil, die in eine entfremdete Heimat kamen? Viele Aspekte des Lebens in dieser verrückten Zeit sind es wert, nach fünfzig Jahren neu erzählt zu werden. Viele Textformen und Darstellungsarten sind vorstellbar, die diese Jahre lebendig und plastisch werden lassen. Nichts davon bei dieser Lesung. Trotzdem halb so schlimm – die Hälfte des Publikums hatte sich ganz selbständig an die 50er-Jahre-Weisheit erinnert: Der Schlaf vor Mitternacht ist der gesündeste. Iris Schneider