: BHs statt Teddys
■ Robbie Williams hat auf seiner Tour lustig bewiesen, daß Rock ergiebig und geduldig ist. Motto: Tu Schlechtes und rede darüber, Fazit: Es gibt doch ein Leben nach Take That
„Verurteile mich – jeder tut es!“ steht ungelenk filzgeschrieben auf einem Pappschild, solch einem, auf dem sonst „Suche 2 Karten“ steht. Das Schild aber hängt am T-Shirt- Stand und übersetzt, was Robbie- Williams-Fans ohnehin wissen – oder zumindest ahnen. Allzu vertrackt sind die Gedanken von Herrn Williams auch nicht. Große Themen, aber eben auch großer Abwasch: Liebe, Eltern, Drogen, Freunde, Einsamkeit. Auch von Gott ist die Rede.
Robbie Williams hat bei der ersten, einzigen und besten Boygroup, Take That, gesungen. Und getanzt natürlich. Und gelächelt. Mädchen sagen einfach nur „TT“ – Jungs denken dann an Tischtennis, so ist das in dem Alter. Take That waren die größten, größer ging es eben nicht. Man muß sich dann auflösen – Beatles, Abba, Police, Wham. Der gegenwärtige Erfolg der Spice Girls läßt ebenfalls keine andere Möglichkeit – man liest auch schon so manches. Und Michael Jackson löst sich ja auch auf, nur anders.
Robbie Williams jedenfalls hat es richtig gemacht, damals. Er hat sich abgelöst, der Auflösung vorgegriffen. Ein Jahr lang hat er darauf hingelernt – zu rocken. Richtig zu rocken. Übereifriger Amateur, der er war, hat er sich mit dem Teufel eingelassen, in dessen putziger Variante Noel & Liam Gallagher. Nach so vielen Jahren mit Bodybuilding und Tanzunterricht war deren waghalsiger Lebensrhythmus natürlich fatal. Endstation Entzugsklinik, dann aber – und das ist dann Rock! – Comeback und plötzlich: Rock auch in der Musik. Die Ouvertüre das handzahme, aber richtungweisende George- Michael-Cover „Freedom“. Sollte heißen: Was ich singe (was ICH!! SINGE!!), das bin ich auch, das mein' ich auch. Die nächste Single dann die Hymne im Rock: Robbie Williams hoffte doch, bitte schön, sehr, noch old zu werden, bevor er stürbe. Nach dem Entzug schien dies zumindest wieder möglich. Und absolut nötig, kreischten die Fans, die zwar etwas weniger, dafür aber auch älter geworden waren. Nicht „mit ihm gealtert“ zwar, das wäre zu gefährlich gewesen. Aber eben älter, BHs statt Teddys.
Rock heißt: Tu Schlechtes und rede darüber – am besten aber erst hinterher. Stichworte: Katharsis, clean, schwarzes Loch, das große Nichts zuvor, nun aber: die neue Lust zu leben. Natürlich heißt Rock auch Übertreibung: Robbie Williams sprintet auf die Bühne, und die Mädchen kreischen, er ruft: „I am, I am, I am!“ Und noch mal. Dann seinen Namen. Ich bin es, Robbie. Und vor allem: Ich bin. Es gibt mich – wieder. Robbie Williams beherrscht auch schon all die Rock-Lügen und -Koketterien – hören will er uns, lauter, war das alles?, dieser Song ist – und zwar ausschließlich – für uns, sogar in dieser Stadt geschrieben. Kann ich Feuerzeuge sehen? Ist kein Problem.
Robbie Williams ist gelandet. Das tat weh, und jetzt macht es Spaß. Besessen, all das zu tun, was ihm das Boygroup-Reglement verboten hatte, wirkt er pubertär. Manch Schrittgreif ist nur allzu deutlich als kalkulierte Splitterbombe wider die Vergangenheit erkennbar. Der Rest ist sprunghaft, manchmal anstrengend, immer aber amüsant. Robbie Williams könnte ein Rockstar nicht nur werden, geworden sein, sondern auch sogar einer bleiben. Rock ist ergiebig und geduldig. Muß man nur zitieren. Und so ist die Musik der große Spaß, die Sause, die eingängige Melodie, das verbotene Haareschütteln, und die Gitarre, die lächerlich ist oder von Gott kommt, kann man sich aussuchen. Dazu bratzen Musiker mit teurem Equipment, klassische englische Rennbahn-Jünglinge, die vom Fußball kommen und zum Fußball gehen werden. Mit den Seitensprüngen Musik und Frauen.
Williams dazwischen gibt uns und sich ziemlich genau Mario Basler: talentiert, aber verschnöselt und faul, dabei jedoch so effizient wie keiner, dadurch eindrucksvoll. Gerne greift er sich in den Schritt, immer wieder. Problem ist: Im Gegensatz zu Michael Jackson ist die Andeutung eine Tat in Ganzheit und Echtzeit, mit anderen Worten: Er scheint etwas zu finden da unten. Da sind die Mädchen, auch die älteren, dann doch etwas erschrocken. Rock eben. Wegen so was wird noch keiner verurteilt. Benjamin von Stuckrad-Barre
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen