: Smart und grell durch die Jahreszeiten
■ Kapellenrebellen: Das italienische Kammerorchester „Il Gardino Armonico“
Einst waren sie die Revoluzzer der Szene, die Musiker mit den barocken Originalinstrumenten. Inzwischen gehören Harnoncourt & Co. zum Klassik-Establishment. Und die zweite Generation drängt nach. Auch sie mit dem schrägen Klang darmbesaiteter Geigen, ventilloser Trompeten, holzschlegel-traktierter Pauken. Was die jungen Ensembles von den alten unterscheidet: Sie sind mit der Musik von U2 und Phil Collins aufgewachsen. Ihr Vivaldi und ihr Bach haben den Groove und den Sound unserer Tage. Das italienische Kammerorchester II Gardino Armonico ist eine von den erfolgreichsten der neuen „Originalklang“-Kapellen und so etwas wie die Designerversion des modernen Klassikorchesters.
Ähnlich wie das US-amerikanische Kronos-Quartett haben die Italiener ihr Repertoire von Anfang an verkauft wie bespielsweise ihr Landsmann Gianni Versace Jacketts und Hemden: Smart und grell, geschmackvoll und vor allem hundertprozentig marketing-orientiert. Vielleicht war das die einzige Möglichkeit, das Spiel auf alten Instrumenten, das in England, Deutschland und den Benelux-Ländern, zumindest für die Barockmusik, längst der Standard ist, endlich auch in Italien populär zu machen. Es ist ihnen gelungen. Und im restlichen Mitteleuropa und den USA machten sie mit ihrem, auf den ersten Blick ziemlich unverfroren und frech wirkenden Approach gleich auch noch Furore. Ihre Interpretation der Vier Jahreszeiten klingt wie eine Cover-Version von Vivaldis Fassung: Fetzig und schrill, klanglich und dynamisch originell und hier und da auch ein wenig manieriert – eine Art Fortführung der Klassik mit den Mitteln von Hardcore.
Heute abend in der Katharinenkirche werden sie zeigen (es gibt schon eine CD), daß sie in der Lage sind, auch Bachs Brandenburgischen Konzerten ihren Stempel aufzudrücken. Diese weltliche Parademusik Johann Sebastians in einer Kirche zu spielen – allein das verrät den Willen zum ganz Besonderen.
Stefan Siegert
Konzert heute abend, Katharinenkirche, 20 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen