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: Keine Liebe, aber Respekt

■ Schulze-Marmelings „Die Bayern“ macht Manager Hoeneß zur wahren Lichtgestalt

Als Dietrich Schulze-Marmeling vor ungefähr zwei Jahren mit der Arbeit an einem Buch über den FC Bayern begann, hätte er sich wohl nicht träumen lassen, daß der behandelte Gegenstand die eigene Analyse derart treffsicher einholen würde. „Vom Klub zum Konzern“ lautet nämlich die Unterzeile seiner Vereinsbiographie, und genau diese Entwicklung kostete sie den ursprünglich geplanten Titel: Aus durchaus naheliegenden Gründen hatte „FC Bayern“ oben auf dem Umschlag stehen sollen.

Doch dagegen erhob der Verein, unter Berufung auf den geschützten Markennamen, wegen Verletzung seiner Vermarktungsrechte Klage. Denn nur wo FC Bayern drin ist, soll auch FC Bayern draufstehen. Und der Verein entsprechend kassieren.

Wer daraufhin eine Generalabrechung mit den Geschäftsmachern von der Säbener Straße erwartet, liegt jedoch falsch. Und das, obwohl es gerade der bekennende Borussia- Dortmund-Anhänger Schulze- Marmeling gewesen war, der vor fünf Jahren in „Der gezähmte Fußball“ besorgt nach der Zukunft des Profifußballs im Zeichen von Vip-Logen und Vorsitzplatz gefragt und in Uli Hoeneß auch gleich einen der zugehörigen Chef-Dompteure ausgemacht hatte.

Weniger Licht: FCB-Gestalt Beckenbauer Foto: Bongarts

Doch „Die Bayern“, so der neue Titel seines Buches, ist nicht nur die bisher gründlichste Vereinsgeschichte des FCB (die nebenbei reichlich mit einschlägigen Vorurteilen über ihn aufräumt), sondern beschreibt dessen Entwicklung – mag man von ihr halten, was man will – als das Ergebnis eines konsequenten Willens zur Modernität.

Schon kurz nach seiner Gründung im Jahr 1900 (soviel zum Vorwurf mangelnder Tradition) zeichnete sich der FC Bayern demnach durch ein großes Maß an Liberalität und Weltoffenheit aus. Zahlreiche ausländische Trainer sowie eine kosmopolitische Mitgliederstruktur standen provinzieller Vereinsmeierei entgegen: Preußen, Juden und andere „Zuagroaste“ waren wesentlich willkommener als bei anderen Münchener Klubs. Und nach 1933 widersetzte sich der bürgerliche FCB seiner Gleichschaltung ungleich energischer als etwa der proletarische TSV 1860 München: Während der vorauseilend-gehorsam nur noch Präsidenten mit Parteibuch und/oder SA-Mitgliedschaft installierte, besuchte die Bayern-Mannschaft noch 1940 ihren jüdischen Ex-Vorsitzenden Kurt Landauer im Schweizer Exil. So korrekt kann Fußball sein.

Seit Mitte der sechziger Jahre hat der FC Bayern den Status des sportlichen wie wirtschaftlichen Schrittmachers der Liga. Die Bayern waren der erste Klub mit einem hauptamtlichen Manager. Schon damals wurde der Verein wie ein Wirtschaftsunternehmen geführt, dessen Spieler und Funktionäre keine Auseinandersetzung mit den überkommenen DFB-Strukturen scheuten.

Hier verliert Schulze-Marmelings Argumentation der Modernisierungsschübe allerdings an Schärfe: Denn sobald ein rückwärtsgewandter Nationalverband wie der DFB Meßlatte des Fortschritts sein soll, wird gleich jeder zum Revoluzzer, der halbwegs geradeaus schießen kann. Ein ähnliches Manko betrifft später einen Gegensatz innerhalb der FCB- Chefetage, den der Autor zur Beschreibung der jüngeren Vereinsgeschichte aufmacht: hier Präsident Franz Beckenbauer („In programmatischer Hinsicht ist der Kaiser nackt“), dort Manager Uli Hoeneß („der einzige Visionär in der Führungscrew“). Letzterer mutiert bei Schulze-Marmeling überraschend zur eigentlichen Lichtgestalt des Vereins, seine Fernseh- und Ligapolitik kommt erstaunlich positiv weg.

Doch auch ein Gutteil dieser Wertung scheint dem größeren Übel in Gestalt des direkten Vorgesetzten geschuldet: Besser überhaupt irgendwelche Konzepte als bloß Kolumnen in Bild, scheint hier der Tenor zu sein. Die gut analysierten sportlichen Versäumnisse der Bayern seit den späten achtziger Jahren – in der Hauptsache fehlende Geduld und das Schrotflintenprinzip beim Spielerkauf – werden jedenfalls nicht dem Manager angelastet, sondern eher der Medienpräsenz Beckenbauers. „Für Jürgen Klinsmann und Giovanni Trapattoni“, lautet denn auch die Widmung des Buches.

„Ich lernte den Klub zwar nicht lieben, aber respektieren“, schreibt Schulze-Marmeling im Vorwort und bringt die folgenden 544 Seiten damit ziemlich genau auf den Punkt. Ein ähnliches Lektüre-Erlebnis dürfte selbst Sportfreunde erwarten, deren Lebenshilfe, neben der Liebe zum eigenen Verein natürlich, schon immer im Haß auf Bayern bestand. Wer sich also in punkto Fußball und Klassenkampf ein klares Feindbild bewahren will, sollte dieses Buch auf keinen Fall zur Hand nehmen. Und wer schon in der offiziell lizensierten FC-Bayern- Bettwäsche schläft, wird es sowieso kaufen. Egal, was draufsteht. Malte Oberschelp

Dietrich Schulze-Marmeling: „Die Bayern. Vom Klub zum Konzern – Die Geschichte eines Rekordmeisters“. Verlag Die Werkstatt, 544 Seiten, 44 DM