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Bündnis der algerischen Opposition zerfällt

■ Gemäßigte Islamisten und Sozialisten geben den Boykott der Kommunalparlamente auf

Madrid (taz) – Das Scheitern des Generalstreiks und einer Großdemonstration in der letzten Woche geht an Algeriens Opposition nicht spurlos vorüber. Die „Koalition der sechs“, die seit Wochen gegen den Wahlbetrug zugunsten der Regierungspartei National-Demokratische Versammlung (RND) protestiert, zeigt erste Risse. Auf einer gemeinsamen Sitzung der Führung der Versammlung für Kultur und Demokratie (RCD), der Front der Sozialistischen Kräfte (FFS), der trotzkistischen Arbeiterpartei (PT), der Partei für Erneuerung (PRA) sowie der beiden gemäßigt islamistischen Parteien Ennahda und MSP- Hamas traten bereits letztes Wochenende die Widersprüche erstmals offen zu Tage.

Während MSP-Hamas und FFS nun doch an den am 23. Oktober gewählten algerischen Gemeinde- und Provinzräten teilnehmen wollen, setzen RCD, PT und Ennahda weiterhin auf Boykott und Straßenproteste, um die Regierung zur Annullierung des manipulierten Wahlgangs zu zwingen.

Man wolle die direkte Auseinandersetzung mit der RND und der ehemaligen Einheitspartei FLN in den Volksvertretungen suchen, begründet die MSP-Hamas den Meinungsumschwung. Da die Islamisten seit Juni an der Regierung von Ministerpräsident Ahmed Ouyahia (RND) beteiligt sind, kommt diese Entscheidung für viele nicht überraschend. Anders bei den Sozialisten: Die FFS hatte sich bisher als entschiedene Oppositionskraft profiliert und in den letzten Jahren sogar mehrmals zum Wahlboykott aufgerufen.

Die Führung der Partei des charismatischen Veteranen aus dem Unabhängigkeitskrieg, Hocine Ait Ahmed, will bisher keine Stellungnahmen zum sich anbahnenden Zerfall des Oppositionsbündnisses nicht abgeben. Der Vorstand werde in den nächsten Tagen ein Dokument zum weiteren Vorgehen ausarbeiten, heißt es, während die gewählten FFS-Vertreter in den beiden Provinzräten von Bejaia und Tizi Ouzou bereits ihre Arbeit aufgenommen haben.

Die RCD, die mit ihren ersten spontanen Protesten noch in der Wahlnacht die Bewegung gegen den Wahlbetrug auslöste, reagiert empört und wirft den Islamisten und Sozialisten unsolidarisches Verhalten vor. Der Boykott der am 23. Oktober gewählten Kommunal- und Regionalvertretungen war einer der zentralen Punkte bei der Entstehung des Oppositionsbündnisses vor wenigen Wochen. RCD-Chef Said Sadi kündigten weitere Proteste an.

Es wird wohl bei einer Willensbekundung bleiben. Nach anfänglicher Tolerierung der Demonstrationen schreckt das Innenministerium mittlerweile vor Großeinsätzen der Polizei nicht mehr zurück. Nachdem so letzte Woche ein von langer Hand vorbereiteter „Nationaler Marsch“ verhindert wurde, werden wohl auch künftig keinerlei Kundgebungen geduldet.

Während dessen haben die Wahlbehörden und das Justizministerium der RND nach einer Überprüfung der insgesamt 1.160 Beschwerden wegen Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen in Gemeinde- und Provinzräten abgesprochen. Am meisten profitiert die ehemalige Einheitspartei FLN mit 174 und MSP-Hamas mit 39 zusätzlichen Abgeordneten. Die FFS bekam in zehn und die RCD in sechs Fällen recht. Die restlichen Mandate gingen an kleine Parteien und Unabhängige.

Die Sitzumverteilung ist nichts weiter als eine Schönheitsoperation: Die RND verfügt weiter über mehr als die Hälfte der 15.003 gewählten Gemeinde- und Provinzvertreter. Diese wählen am 15. Dezember zwei Drittel der 144 Mitglieder des Nationalrates, der zweiten Parlamentskammer mit wichtigen Vetorechten gegenüber der Volksversammlung. Den Rest bestimmt Präsident Liamine Zéroual selbst. Reiner Wandler

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