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Schnecken stehen auf

■ Auf Initiative des Kunstwerks finden mit Krumme Hunde die „1. Tanz- und Theatertage behinderter und nichtbehinderter Darsteller“in Hamburg statt

Ein Mann liegt auf dem Boden. In der Hand hält er eine Handpuppe in Gestalt einer Schnecke. Der Mann kann ohne Rollstuhl nicht laufen, nur kriechen. Er robbt auf dem Boden entlang. Erzählt von der Langsamkeit, vom Schneckendasein. Von der Hilflosigkeit ohne das rollende Haus.

Krumme Hunde heißen bezeichnenderweise die ersten Tanz- und Theatertage von behinderten und nichtbehinderten Darstellern, die am Wochenende im Altonaer Theater, Monsun Theater und in der Motte in Ottensen stattfinden. „Krumme Hunde“waren früher in Zigarrenfabriken jene Zigarren, die nicht der Norm entsprachen und deshalb aussortiert wurden. Heute sind diese als „Unikate“bei Sammlern besonders begehrt. Der provokative Titel ist Programm: Es geht um Andersaussehen und Anderssein. Darum, was allgemein als normal und was als unnormal gilt. Hingucken statt Weggucken ist gefragt.

Erstmalig findet auf Initiative des Ottenser Kulturzentrums Kunstwerk ein Zusammenschluß integrativer Theatergruppen in Hamburg statt. „Die Gruppen arbeiten sehr unterschiedlich. Einige wollen zeigen, daß sie trotz ihrer Behinderung Theater spielen können; andere machen die jeweilige Behinderung zum Thema. Dieses Spannungsfeld der jeweiligen Arbeitsweisen zu zeigen, ist Schwerpunkt der Theatertage“, sagt Angela Müller vom Kunstwerk. „Die Frage, ob es sich bei dieser Arbeit vorrangig um Kunst oder soziales Engagement handelt, ist nicht so wichtig. Die Bühne ist ein Raum mit Platz für Utopien. Der künstlerische Aspekt liegt in dem Moment der unterschiedlichen Wahrnehmung durch die Behinderung.“

Das Theaterprojekt wurde von der Kulturbehörde mit 19.000 DM gefördert und findet unter der Schirmherrschaft von Kultursenatorin Christina Weiss statt. Zum Auftakt spielt das Visuelle Theater Hamburg am Samstag um 15.30 Uhr Szenen aus dem Alltag Gehörloser. Die Gruppe hat sich 1990 als eine der ersten Theatergruppen mit der deutschen Gebärdensprache als Ausdrucksform gegründet. Anschließend stellt sich das Theater Thikwa vor, das erstmals in Deutschland nach Wegen sucht, die beruflichen Möglichkeiten von Behinderten im Theater zu erweitern. Das Abendprogramm am Sonnabend präsentiert drei Gruppen: Das Theater in der Mühle zeigt das Musical Der kalte Mond. Die 1995 gegründete Gruppe Theater Nachschlag präsentiert ihr neues Stück Ich habe viel Zeit und tue alles für sie. Die Gruppe Contact 17 ist mit ihrer Produktion Zwischen schwarz und weiß zu Gast. Am Sonntag stehen nachmittags öffentliche Proben auf dem Programm, abends zeigt der Thalia Treffpunkt Aus Verona, und die Blindengruppe Theater Misch Masch führt die Komödie Ein Fläschchen für Anna auf. Fläschchen geben Kraft, und die können auch die Krummen Hunde brauchen.

Katja Fiedler

Sonnabend, 21. 11. ab 15.30 Uhr, Sonntag, 22. 11. ab 12 Uhr, Altonaer Theater

Workshops finden in der Motte und im Monsumtheater statt. Ifos unter Telefon 390 94 52

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