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Herbst im Wölkchenkratzer

Baum-Zirkelkreise auf dem Küchentisch: Morgen beginnen auf dem Messegelände die dritten Hamburger Modellbautage  ■ Von Judith Weber

Arglos stelle ich meine Tasse in der Einfahrt ab. Mitten auf den Küchentisch, neben einer Art Schuhschachtel, die wie eine wadenhohe Mehrfamiliengarage aussieht. Das Ding wiederum steht auf einer manschgrauen Pappe, die jemand (offenbar in Stunden der Ödnis) mit grünen Kringeln verziert hat. Mit abgezirkelten Kringeln! „Baum“steht über dem ersten Kreis. Daneben, dünner: „B.“, dann noch ein „Baum“.

Neben den stelle ich meine Tasse. Und da sitze ich, an unserem Küchentisch – im Wald. Obwohl es noch vor zehn ist, beginne ich zu denken: Habe ich meinen Mitbewohner zu oft allein gelassen? Offensichtlich ist er gelangweilt, gar unglücklich. Tun Menschen in diesen Fällen sowas? Und hat er den Zirkel aus der Haushaltskasse bezahlt? Fragen über Fragen. Grübelnd träufele ich Kaffee auf einen der grünen Kringel. Jetzt ist er nicht mehr grün, sondern braun. Herbst, denke ich. Meine Tasse lasse ich, wo sie ist. In der Einfahrt stört sie ja niemanden. Anwohnerparken, denke ich – wer fährt schon um diese Zeit aus seiner Pappgarage?

Mein Mitbewohner jedenfalls steht um diese Zeit auf. „Hmf“, macht er, als er meine geparkte Tasse sieht. „Herbst“, sage ich und zeige auf den braunen Baum-Kringel. „Schwein“, sagt mein Mitbewohner und zeigt auf mich. Ich überlege kurz, ob ich jetzt kleinlaut oder verprellt bin und werde kleinlaut.

Verschämt schiebe ich meinen Kaffeehumpen aus der Einfahrt, verwische mit dem Bündchen des Schlafanzugs die braunen Bremsspuren und frage friedenheischend: „Wofür ist denn die Garage?“Selten so blamiert. Mein Mitbewohner hyperventiliert und mir wird klar, daß das Ding keine Garage ist. Es ist ein Haus, ein Modellbauhaus oder zumindest etwas, was mal eines werden will. Ein dezimeterhoher Wölkchenkratzer, mit Blitzableitern aus Streichhölzern und einer Einfahrt, gesäumt von Plastikfichten und fingerhohen Rabatten. Nicht gemacht, um eine Modelleisenbahn an sich vorbeifahren zu lassen. Einfach so, ein Haus.

Verbissen kittet mein Mitbewohner Pappen aneinander, pinselt Stuck an Zimmerdeckchen, tagelang. „Na?!“, schnappt er jeden Morgen, wenn ich im Stehen meinen Kaffee trinke: „Würdest Du jetzt darin wohnen wollen?“„Nur im Herbst“sage ich dann, und mehr sage ich nicht, weil mein Mitbewohner schon wieder seinen Mittelfinger in eines der Wohnzimmer geschoben hat und dieses konzentrierte Gesicht macht, bei dem die Zunge unmöglich noch Worte formen kann, so im Freien.

Nur einmal frage ich, was ich seit Tagen, seit drei Pappstockwerken wissen will: Warum auf unserem Küchentisch? Nichts gegen Abflußrohre aus Strohhalmen; Gardinen aus Zahnseide in Ehren. Aber warum nicht im Hobbykeller, in neonbestrahlter Abgeschiedenheit?! Mein Mitbewohner würdigt mich keiner Antwort. Er bastelt gerade einen Keller unter sein Modellhaus.

Die 3. Hamburger Modellbautage: Vom 21.-23. November auf dem Messegelände, Halle 3, täglich geöffnet von 10-18 Uhr, Eintritt 14, Kinder 6 Mark

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