■ Vier neue Entwürfe für ein zentrales Holocaust-Mahnmal in Berlin: Wie das Denkmal für die Opfer im Land der Täter aussehen soll: Mission: impossible?
Aus den ersten Kommentaren zum neuen Stand in der Mahnmaldiskussion – der Auswahl von vier neuen Entwürfen – ließ sich ein ungeduldiges Fingertrommeln heraushören. Daß es nach fast zehnjähriger Debatte noch immer nicht zu einer eindeutigen Entscheidung für die eine Lösung gekommen ist, möchten die eher aristokratisch gesonnenen Kritiker dem „Gremienwirrwarr“ und dem Labyrinth der politischen Mitspracheforderungen anlasten, die anderen gerade umgekehrt den dunklen Machenschaften der Auslober, die ihre politischen Interessen hinter der Intransparenz des Entscheidungsvorgangs zu verbergen suchten.
Beide Einwände zeigen sich erstaunlich unbeeindruckt von der Tatsache, daß hier gegen eine wachsende Unwahrscheinlichkeit operiert werden mußte. Grundsätzlich ist unwahrscheinlich (und deshalb auch noch nie und nirgends auf der Welt dagewesen), daß es der Nation der Täter gelingt, ihrer Opfer zu gedenken – schon gar nicht, wenn sie stets gegen den Verdacht angedenken muß, eigentlich lieber vergessen zu wollen. Hinzu kommt, daß mit der Judenvernichtung ein Morden erinnert werden soll, daß keine Kriegshandlung war und sich auch sonst in keine sinnvolle Erzählung fassen läßt.
Höchst unwahrscheinlich ist auch, daß sich autonom operierende Systeme wie Kunst und Politik ausgerechnet zu einem solchen Anlaß erfolgreich aneinander koppeln. Das Mahnmal ist zwar staatliche Auftragskunst, soll aber den Staat gerade nicht feiern.
Unwahrscheinlich war schließlich auch, daß nach den drei Kolloquien mit ihren durchaus widersprüchlichen Ergebnissen noch Entwürfe entstehen würden, denen man zwar eine lebhafte Teilnahme an diesem notwendigerweise quälenden Prozeß anmerkt, die aber trotzdem keine dürre Konzeptkunst geworden sind. Solche gab es unter den eingereichten 19 Entwürfen auch: Arbeiten nämlich, die nichts als die Unmöglichkeit der Repräsentation – also nichts als sich selbst – zum Thema haben, Seminararbeiten, die immer die andern meinen, wenn sie „die Besucher“ und „die Deutschen“ sagen, denen eigentlich nicht mehr anzumerken ist, daß es bei dem Mahnmal auch um etwas wie Trauer geht, und von denen nichts bleiben würde als der Name des Künstlers.
Mit ihrer Entscheidung, vier Entwürfe in die engere Wahl zu nehmen, die dann, gemeinsam mit den anderen 14, der Öffentlichkeit zur Begutachtung präsentiert werden, haben Findungskommission, Förderkreis und Auslober sich erfreulich selbstbewußt an der Erfahrung mit dem bisherigen Diskussionsverlauf orientiert. Längst hat man es, um mit Beuys zu sprechen, mit einer sozialen Plastik zu tun, die immer um ein vielfaches komplexer sein wird als das, was dann schließlich in Stein gehauen südlich vom Brandenburger Tor steht. Fraktionen haben sich gebildet – „Populisten“ gegen „Dekonstruktivisten“, Pädagogen gegen Künstler, Standortbefürworter und Standortgegner, strikte Gegner einer Identifikation mit den Opfern und Befürworter des Aufgreifens jüdischer Gedenkformen, Befürworter eines Mahnmals für alle Opfergruppen gegen diejenigen, die den Judenmord für das in jeder Beziehung herausragende Ereignis halten.
Die meisten von ihnen können sich in einem der vier Entwürfe wiederfinden, zum Teil in hochinteressanten neuen Konstellationen. So trifft sich plötzlich der Populismus der Initiatorin Lea Rosh mit der Didaktik des Interaktionskünstlers Jochen Gerz, der den Platz in ein Areal mit 39 Lichtmasten einteilen will, auf denen in den Sprachen der verfolgten Juden gefragt wird „Warum“ und auf die computergesteuert die Antworten der Besucher eingefräst werden. Dazu stellt er ein Gebäude, in denen die Besucher – vorzugsweise durch israelische Studenten – Hilfe bei der Beantwortung dieser Frage erfahren sollen. Man fühlt sich an eine emsige Schüler-Wandtafelaktion erinnert, bei der alle Beteiligten stets „busy“ bleiben, zu beschäftigt, um zu trauern.
Bund und Land haben sich – wohl in der Hoffnung auf eine „sichere Bank“ – für einen Entwurf von Daniel Libeskind ausgesprochen, den dieser „Steinatem“ nennt, und der mit seinen durchbrochenen Mauern und seinem gezackten Grundriß explizit auf das von ihm entworfene jüdische Museum und dessen Leerstellen verweist. Bei dieser narzißtischen Kreiselbewegung droht genau die Art von fortgeschrittenem Kitsch zu entstehen, die das Verfahren schon häufiger in eine Sackgasse geführt hat.
Die Findungskommission hingegen, bestehend aus zwei Museumsfachleuten, einem Architekten und einem Denkmalsforscher, hat sich von solchen Prätentionen nicht beeindrucken lassen. Die Berliner Architektin Gesine Weinmiller schlägt das Arrangement von 18 scheinbar zufällig verstreuten riesigen Wandsteinblöcken vor, zu denen man, vom Straßenlärm weg, herabsteigt. Richard Serra und Peter Eisenman wollen ein Grabsteinfeld aus 4.000 Betonstelen, davon eine weiß, die so eng beieinanderstehen, daß Besucher nur einzeln hindurchkönnen.
Beide Entwürfe nehmen Rückgriff auf die jüdische Ikonographie – Weinmillers Blöcke fügen sich zum Vexierbild eines Davidsterns, Serra/Eisenmans Grabsteinfeld erinnert an den jüdischen Friedhof von Prag. Beide enthalten Momente des Erhabenen, wenn auch nicht mehr des Monumentalen, das noch der Grabplatte der ersten Ausschreibung eignete. Beide schließlich isolieren den Besucher, der so zum Schauspieler in einem unlösbaren Drama wird. Keiner von beiden nennt einzelne Namen.
Es gäbe also, folgt man dem strengen Verbotsdiskurs, der die Diskussion um das Berliner Mahnmal so oft schon hart am Scheitern vorbeischrappen ließ, zahllose Argumente gegen beide: zuviel geborgte, den Nachfahren der Täter nicht zustehende jüdische Ikonographie, zuviel Kontemplation, zuwenig Aufklärung; am falschen Ort, in falscher Beschränkung auf eine Opfergruppe. All diese Argumente vermögen aber nichts gegen den rätselhaften Effekt, der sich eben so nur in der Kunst einstellt: Das Gräberfeld von Serra/Eisenman „funktioniert“. Seine Geste ist doppeldeutig: Es gibt keinen Ausweg aus dem Steinlabyrinth. Zugleich ist es eine Anstrengung der Nachgeborenen, die sagt: Es schmälert das Gedenken an den Holocaust keineswegs, wenn wir auf strafendes oder erziehendes Mahnen verzichten, sondern uns – um mit Richard Rorty zu sprechen – darauf verlegen, „uns aufzurappeln und es noch einmal zu versuchen“. Mariam Lau
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