: Die EU-Kommission hat für den zweitägigen Beschäftigungsgipfel der 15 Mitgliedstaaten, der heute in Luxemburg beginnt, ehrgeizige Leitlinien zur Senkung der Arbeitslosigkeit vorgelegt. Konkrete Aktionen statt immer nur Absichtserklärungen,
Die EU-Kommission hat für den zweitägigen Beschäftigungsgipfel der 15 Mitgliedstaaten, der heute in Luxemburg beginnt, ehrgeizige Leitlinien zur Senkung der Arbeitslosigkeit vorgelegt. Konkrete Aktionen statt immer nur Absichtserklärungen, so lautet
die Forderung aus Brüssel. Doch in einigen Ländern der Europäischen Union sind die Bedenken groß, auf zu hohe EU-Ziele festgenagelt zu werden. Die Bundesregierung etwa will nicht nur keine Kompetenzen in dieser Frage an Europa delegieren, sie will vor allem keine zusätzlichen Ausgabenprogramme. Trotzdem sind die Chancen diesmal besser, daß für die rund 18 Millionen arbeitslosen Frauen und Männer in der Union mehr herauskommt als die üblichen warmen Worte.
Wer wirklich Arbeit schaffen will ...
An Ideen, wie man die Arbeitslosigkeit senken könnte, fehlt es nicht. Es sind nur immer die Falschen, die sie haben. Die EU- Kommission, die Europäischen Grünen, die Sozialdemokraten im Europaparlament und die Gewerkschaften – alle haben sich in diesen Tagen Gedanken gemacht und sie auch noch vorgetragen. Nur der deutsche Kanzler ist entschlossen, auf dem EU-Beschäftigungsgipfel an diesem Donnerstag und Freitag in Luxemburg so ziemlich alles niederzustimmen. Und Helmut Kohl hat Gewicht.
Trotzdem sind die Chancen besser als bei allen bisherigen EU-Gipfeln, daß für die Arbeitslosen mehr herauskommt als die üblichen warmen Worte, kunstreich verpackt und übersetzt in elf Sprachen. Denn alle EU-Regierungen, auch die konservativen, haben einen sozialen Flügel, wo Leute wie Norbert Blüm tapfer gegen die Sparwut ihrer Finanzminister anrennen.
In einigen Ländern, nicht in Deutschland, haben diese Sozialarbeiter in letzter Zeit wieder etwas mehr Oberwasser bekommen, was an der anhaltend hohen Dauerarbeitslosigkeit liegen könnte. Waigels Standardsatz, daß ein Abbau der Staatsschulden die beste Beschäftigungspolitik sei, kommt zwar im Kreis der EU-Finanzminister immer wieder gut an. Aber bereits die Wirtschaftsminister kratzen sich immer öfter am Kopf, und bei den Regierungschefs überwiegen die Zweifel. Im Grunde stimmen sie dem Bundeskanzler weitgehend zu, daß Beschäftigungspolitik in erster Linie Aufgabe der nationalen Regierungen ist. Doch anders als Kohl glauben die meisten, daß es durchaus sinnvoll wäre, sich für mehr Arbeitsplätze gegenseitig unter Druck zu setzen. „Peer pressure“ heißt das in Brüssel: Zwang unter Gleichen.
Als Modell gelten die Konvergenzkriterien der Währungsunion. Unter dem Druck der gegenseitigen Kontrolle haben die EU-Regierungen ihre Schulden abgebaut und die Haushaltsdefizite in wenigen Monaten im Durchschnitt halbiert. Warum sollte das nicht auch bei der Reduzierung der Arbeitslosigkeit möglich sein? fragt EU- Kommissionspräsident Jacques Santer. Er hält es für möglich, bei ausreichendem Willen die Arbeitslosenzahlen in fünf Jahren auf sieben Prozent zu drücken. Einige Regierungen wollten sich schon auf diese sieben Prozent als Ziel festlegen, ähnlich wie bei den drei Prozent Haushaltsdefizit, die für die Währungsunion gelten. Vor allem der neue sozialistische Regierungschef in Paris, der den Beschäftigungsgipfel als sozialen Ausgleich zur germanisch geprägten Euro-Sparkultur durchgesetzt hat, findet die Idee bestechend.
Aber dagegen hat sich die Bundesregierung sofort gewehrt, unterstützt von der spanischen und der finnischen Regierung, die auch sehr hohe Arbeitslosenraten haben. An Zahlen kann man später leicht gemessen werden. „Wir könnten gezwungen sein, etwas Falsches zu tun“, klagte ein deutscher Diplomat in Brüssel. Im Klartext: Bonn hat in den letzten Jahren die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen drastisch eingeschränkt und fürchtet, wieder neue ABM schaffen zu müssen, um die sieben Prozent zu erreichen. Pro 100.000 Umschulungs- oder Beschäftigungsmaßnahmen rechnet der Finanzminister mit Kosten von 1,1 Milliarden Mark. Das Sparziel Euro käme in Gefahr.
EU-Kommissionspräsident Santer, der als nicht besonders konfliktfreudig bekannt ist, will das mit dem Ziel auch nicht mehr so gemeint haben. In Luxemburg sollen deshalb nur noch „Trends und Tendenzen“ diskutiert werden. Doch einige Regierungen, die französische zum Beispiel, würden gerne etwas Konkreteres mit nach Hause bringen. Sie drängen auf feste Vorgaben, wie die Jugend- und die Langzeitarbeitslosen wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Die EU-Kommission hat dazu einen leicht revolutionären Vorschlag gemacht, den Waigel sicher als Werkzeug aus der sozialistischen Mottenkiste abgetan hätte, wäre der Luxemburger Regierungschef Jean-Claude Juncker nicht reaktionsschneller gewesen.
Junckers Vorschlag kann weder von Waigel noch von Kohl so einfach vom Tisch gewischt werden. Danach sollen sich die Regierungen verpflichten, Jugendlichen spätestens nach sechs, Langzeitarbeitslosen nach zwölf Monaten ein Angebot für einen sogenannten Neustart zu machen. Dabei bleibe es jedem Land überlassen, ob das eine Umschulung, eine ABM- Stelle oder eine staatlich geförderte Beschäftigung in Unternehmen ist. Diese Stellen dürfen auch zeitlich befristet sein. Die Idee dahinter ist, daß die Betroffenen vor allem erfahren sollen, daß sie nicht einfach abgeschrieben sind, und daß sie aus der Lethargie geholt werden. Sie sollen wieder Mut bekommen. Wenn dadurch auch nur ein Teil eine reguläre Arbeit findet, so die Hoffnung, kommt diese aktive Beschäftigungspolitik auch nicht teurer als die Finanzierung der Dauerarbeitslosigkeit.
Für Theo Waigel und einige seiner Kollegen wird es schwer werden, diesem Vorschlag die Zähne zu ziehen. Zu sehr stehen die Regierungschefs mittlerweile unter Druck, der Öffentlichkeit etwas halbwegs Greifbares gegen die Arbeitslosigkeit zu präsentieren. Alois Berger, Brüssel
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