: Die mit den Finanzoligarchen tanzen
Hinter der Absetzung von Tschubais und Nemzow als Minister steht der Kampf von Bankern um Macht und Einfluß im Kreml. Der Gewinner der Kabinettsumbildung ist Premierminister Tschernomyrdin ■ Aus Moskau Barbara Kerneck
Anders als König Salomon beschloß Präsident Jelzin gestern, das Kind zweizuteilen, um das sich ein erbitterter Streit in der russischen Öffentlichkeit dreht. Der erste Vizepremier Anatoli Tschubais bleibt – vorläufig – erster Vizepremier, aber er verliert den Posten des Finanzministers. In diesem Amt folgt ihm der bisherige Vorsitzende der Haushaltskommission der Duma, Michail Sadornow. Auch Boris Nemzow muß seinen Sessel als Energieminister räumen, bleibt aber Vizepremier.
Gleichzeitig wird klar, wer den Gewinn aus einem Wälzer namens „Geschichte der Privatisierung in Rußland“ einstreicht, den Tschubais zusammen mit vier hohen Regierungsbeamten verfaßt hat – es ist Ministerpräsident Tschernomyrdin. Der Premier erhält mehr als die halbe Million Dollar, die die Autoren bekamen, er rückt drei Felder vor im Kampf um die nächste Präsidentschaft.
Obgleich Tschernomyrdin in den letzten Tagen unter Krokodilstränen erklärte, Tschubais und seine Ko-Autoren fügten durch ihr korruptes Verhalten dem Ruf der Regierung schweren Schaden zu, deutet alles darauf hin, daß er die kompromittierenden Informationen selbst lancierte, zusammen mit dem Finanzier seiner Hauspartei, Boris Beresowski. Jedes Kind in Rußland weiß, daß der Name Tschernomyrdin und der Erdgasmonopolist Gasprom Synonyme sind. Anatoli Tschubais und sein Ko-Vizepremier Boris Nemzow spielten im Pelz dieser Polit-Holding die Rolle von Läusen.
Andererseits konnte die Informationsbombe gegen Tschubais in der Öffentlichkeit nur in Verbindung mit der peinlichen Erkenntnis zünden, daß hinter dem bestechenden Verlag die Unexim- Gruppe des Bankiers Wladimir Potanin (36) steht. Zusammen mit einem dritten Bankier, Wladimir Gusinski (44), haben Potanin und Beresowski in den letzten beiden Jahren die wichtigsten Zeitungen und Fernsehkanäle im Lande unter ihre Kontrolle gebracht.
Gutgläubige BürgerInnen konnten bisher noch annehmen, daß die „jungen Reformer“ den Finanzoligarchen die Kontrolle über die Politik streitig machten. Aber der neueste Skandal beweist: Zumindest Tschubais war nahe daran, in diesem Kampf zur Marionette zu werden. Der Tanz der Finanzoligarchen mit den „Reformern“ begann nicht mit der geschriebenen, sondern mit der wahren „Geschichte der Privatisierung“.
1992 hatte Anatoli Tschubais, damals Chef der Privatisierungsbehörde, verkündet, daß es beim Aufbau des Kapitalismus vor allem um die Schnelligkeit gehe. Wer dabei das Geld in die Hände bekäme, sei Nebensache. Bei den Privatisierungsauktionen verständigten sich fortan Großspekulanten und bestimmte Banken im voraus mit korrupten Beamten über den Ausgang. In dieser kleptokratischen Epoche gelangten einige Finanziers, unter ihnen Beresowski, zu sagenhaftem Reichtum.
Den ersten Schritt in Richtung auf eine gemeinsame politische Herrschaft taten angesichts der dräuenden kommunistischen Gefahr im Winter 1995 sieben führende Bankiers Rußlands. Sie schlossen sich zusammen, bezahlten Boris Jelzins Präsidentschaftswahlkampf und gewannen die Schlacht. Als Architekt der Machtergreifung via Finanzkapital wirkte Anatoli Tschubais. Nach dem Sieg forderten die Banken einen eigenen Repräsentanten in der Regierung. Das Los fiel auf den eleganten Beresowski, in der Rolle des stellvertretenden Sekretärs des Sicherheitsrates. Der Financial Times erklärte er: „Wir haben Tschubais angeheuert und gewaltige Summen investiert, um Jelzins Wahl sicherzustellen. Nun haben wir auch das Recht, Regierungsposten einzunehmen und die Früchte unseres Sieges zu genießen.“
Die Früchte reiften. Die russische Regierung garantierte den führenden Banken des Landes jährlich Hunderte von Dollarmillionen an indirekten Subsidien. Unter anderem wurden Mittel aus dem Staatshaushalt an die Empfänger über ein gutes Dutzend sogenannter „bevollmächtigter Banken“ weitergeleitet. Sie wirtschafteten damit, während LehrerInnen und RentnerInnen darbten.
Den Anfang vom Ende der korporativen Einheitsfront der Finanziers bildete die Versteigerung der regierungseigenen Telefon-Holding Swjasinvest am 25. Juli. Mit ihr begann der in den Massenmedien ausgetragene „Krieg der Banken“. Tschubais erklärte kategorisch, diesmal müßten gleiche Regeln für alle gelten, und über den Zuschlag entscheide allein die gebotene Geldsumme.
Noch am Vorabend suchten Beresowski, Potanin und Gusinski Tschubais an seinem Ferienort in Frankreich heim und versuchten, ihn zu erweichen. Umsonst! Die Telefon-Holding ging an die Unexim-Bank als Teil eines Konsortiums. Der Jahrhundert-Deal brachte der russischen Regierung 1,875 Milliarden Dollar ein und ermöglichte es den Vizepremiers bis heute, die meisten ihrer sozialpolitischen Versprechen an die Bevölkerung zu halten. Als die Regierung auch noch die Konten für den Staatshaushalt in die Zentralbank verlegte, zerbrach die Koalition der Bankiers. Ihrer Solidarität beraubt, verlor Beresowski am 5. November seinen Regierungsposten.
Tschubais muß deshalb heute die Oligarchen abschütteln, wenn er nach der Privatisierung noch am Ruder bleiben will. Er braucht die Erträge aus dem Verkauf der wenigen Holdings, die noch zum Verkauf stehen, um Versäumnisse im sozialen Bereich wettzumachen. Kürzlich fragte ihn einer der kommunistischen Duma-Führer: „Sie glauben wohl, daß Sie für die nächsten 50 Jahre an die Macht gekommen sind?“ Da antwortete der Vizepremier selbstsicher: „Nein: für immer.“ Kommentar Seite 12
Das Portrait Seite 13
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen