Akademien auf Sinnsuche

■ Evangelische Akademien suchen zum 50sten Jubiläum nach neuen Aufgaben

Berlin (taz) – Um Viertel nach acht tauchte plötzlich Jesus Christus auf. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Teilnehmer am Festakt zum 50jährigen Bestehen der Evangelischen Akademien in Deutschland bereits gut zwei Stunden an Reden kirchlicher Würdenträger hinter sich, ohne daß der Name Jesu gefallen wäre. Es blieb einem Gastredner aus Japan überlassen, Christus das erste Mal zu erwähnen, kurz vor Programmschluß. Trotz des kirchlichen Ambientes im Französischen Dom in Berlin haftete der Veranstaltung etwas entschieden Weltliches an.

Daß die Feier vom Mittwoch eher an einen Vortragsabend als einen Gottesdienst erinnerte, paßt durchaus zum Profil der 19 Akademien von Görlitz bis Rostock. Ihren Ruf als Stätten des Dialogs erwarben sie sich in der alten Bundesrepublik vor allem mit hochkarätig besetzten Tagungen zu politischen Themen, in der DDR, indem sie Freiraum für Andersdenkende boten. „Als die Evangelischen Akademien aus der Taufe gehoben wurden, war eine demokratische politische Kultur in Deutschland noch nicht einmal im Keim vorhanden“, bilanziert die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, in ihrem Festvortrag. „Es galt, eine gleichgültige und verdrossene Bevölkerung, die noch weithin obrigkeitsstaatlichem Denken verhaftet war, für Demokratie, Menschen- und Freiheitsrechte zu interessieren.“ Doch Jutta Limbachs Lob für die Arbeit der Vergangenheit macht auch das Problem der Akademien in der Gegenwart deutlich: Die Entwicklungshilfe in Sachen Demokratie hat sich als Aufgabe weitgehend erledigt. Vorbei auch die Zeiten, als ein Egon Bahr 1962 an den Starnberger See fuhr, um in der ländlichen Idylle der Akademie Tutzing seine Thesen eines „Wandels durch Annäherung“ der Öffentlichkeit vorzustellen. Wer heute was Wichtiges zu sagen hat, geht zum Fernsehen, nicht zur Kirche.

„Die Akademien gehören nicht mehr zu den großen Foren der Nation“, befand der frühere Präsident des Goethe-Instituts, Hans Heigert, vor kurzem. Während Heigert den Akademien eine „Sinnkrise“ bescheinigt, ist beim Festakt vor allem von der Finanzkrise der Kirche die Rede. Von den Sparplänen in der evangelischen Kirche sind auch die Akademien bedroht, der Präses der EKD-Synode, Jürgen Schmude, warnte auf der Veranstaltung im Französischen Dom, „kein Bereich ist von den Überlegungen ausgenommen“.

An der Akademie Bad Boll wird darum bereits geplant, wie sich ein höherer Anteil an Eigenmitteln erwirtschaften läßt. So könnten dort beispielsweise Trainings für Führungskräfte aus der Wirtschaft, aus Gewerkschaften und Parteien stattfinden. „Diese Tagungsprodukte können wesentlich höherwertiger auf den Markt gebracht werden“, formuliert geschmeidig Pfarrer Jo Krummacher, der Geschäftsführende Direktor. Soviel Interesse an der Marktwirtschaft ist der Mehrheit der Direktoren jedoch wohl eher suspekt. Die „Auslieferung der Akademiearbeit an die Mechanismen des Konferenzmarktes ist ein falscher Weg“, heißt es im offiziellen Memorandum zum 50jährigen Jubiläum. Auf keinen Fall dürfe sich der Einfluß von Drittmittelgebern auf das Programmprofil verstärken. „Zum Teil kommt da schon die Forderung, wir sollten uns auch bei den Jugendlichen den Eliten zuwenden, weil das die Kunden von morgen sind – und dazu habe ich, ehrlich gesagt, keine Lust“, sagt Detlev Gause, der Jugendreferent der Akademie Bad Segeberg. „Die Gymnasiasten haben ihre Reitstunde und den Klavierunterricht, die schieben 'ne Tagung nur so dazwischen.“ Seine Kollegin Heike Schlottau klagt: „Bei Veranstaltungen wie heute wird nur über Eliten und die Mittelschicht geredet, das Bildungsbürgertum eben.“ Spannend werde es, wenn es zum Kultur- Clash kommt: „Ich habe da mal 50 Metaller gehabt – und nebenan eine Schweigegruppe.“ Patrik Schwarz