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Die UN-Rüstungskontrolleure dürfen ihre Arbeit im Irak wieder aufnehmen. Auch die zehn Inspekteure aus den USA. Die Vermeidung einer erneuten militärischen Eskalation in der Golfregion ist der Erfolg des russischen Außenministers Primakow.

Die UN-Rüstungskontrolleure dürfen ihre Arbeit im Irak wieder aufnehmen. Auch die zehn Inspekteure aus den USA. Die Vermeidung einer erneuten militärischen Eskalation in der Golfregion ist der Erfolg des russischen Außenministers Primakow. Von Zugeständnissen an Bagdad, so etwa eine Aufhebung der seit dem Golfkrieg verhängten Sanktionen, wollen zumindest die USA vorerst nichts wissen.

Rußland entschärft Saddams Bombe

Die jüngste Irak-Krise scheint – vorerst – beigelegt, die Gefahr einer militärischen Eskalation abgewendet. Die irakische Regierung hat gestern der sofortigen Rückkehr aller UN-Rüstungskontrolleure zugestimmt, ausdrücklich unter Einschluß der von Bagdad letzte Woche ausgewiesenen zehn US-Amerikaner. In New York wird heute die UNO-Sonderkommission (Unscom) zur Überwachung der irakischen Rüstung über eine „Effektivierung“ ihrer Arbeit diskutieren und dabei Vorschläge machen, die allen Beteiligten die Wahrung ihres Gesichts erlauben.

Beschlossen wurde die Unscom-Sitzung in der Nacht zum Donnerstag anläßlich eines Treffens der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats in Genf, das auf Initiative Rußlands kurzfristig einberufen worden war. Bei dem Treffen war die Rückkehr aller UN-Inspektionsteams verlangt worden. An dem zweistündigen Treffen im historischen Ratssaal des Genfer UNO-Palastes nahmen Rußland, die USA, Frankreich und Großbritannien mit ihren Außenministern sowie China mit seinem UNO-Botschafter teil.

Die ungewöhnliche Uhrzeit wurde offiziell mit den Reiseplänen von US-Außenministerin Madeleine Albright begründet. Sie traf erst kurz vor Beginn des Treffens von einem vorzeitig beendeten Indienbesuch in Genf ein und reiste noch am frühen Morgen in die USA weiter. Willkommener Nebeneffekt dieses Timings: Die wichtigste Botschaft des Genfer Treffens – zumindest aus Sicht der unter zunehmendem militärischen Handlungsdruck stehenden Clinton-Regierung – konnte in den USA bereits von den Fernsehnachrichten am späten Mittwoch abend sowie in den gestrigen Tageszeitungen verbreitet werden.

Die Zahl der Inspekteure soll erhöht werden

In ihrer gemeinsamen Schlußerklärung bekräftigten die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates ihre „Solidarität“ und forderten den Irak zur „bedingungslosen und vollständigen Erfüllung“ der Waffenstillstandsresolution 687 vom April 1991 sowie aller anderen Irak-relevanten Resolutionen des höchsten UNO-Gremieums auf. Über „Zugeständnisse“ an Bagdad sei nicht einmal diskutiert worden, betonte Albright unmittelbar nach dem Treffen auf einer Pressekonferenz. Dieser Version wollte keiner der anderen vier Teilnehmer widersprechen. Frankreichs Außenminister Hubert Vedrine sprach allerdings von einem „wichtigen Schritt der USA“ und von einer „amerikanischen Öffnung, verbunden mit einer enormen Bewegung der Regierung in Bagdad, alle Auflagen zu erfüllen“.

Die „Öffnung“ liegt in der für heute angesetzten Beratung der Unscom über die „Effektivierung“ ihrer Arbeit. Zentrales Ergebnis wird nach Angaben aus Genfer Diplomatenkreisen voraussichtlich ein Vorschlag an den Sicherheitsrat zur Erhöhung der Gesamtzahl der bislang 120 im Irak stationierten UNO-Inspekteure sein.

Die Beilegung der Krise ist ein Erfolg für Rußland

Gedacht ist vor allem an die Entsendung zusätzlicher Inspekteure aus den vier ständigen Mitgliedsländern des Sicherheitsrates, Rußland, China, Frankreich und Großbritannien. Deren Kontingente sollten ebensogroß sein wie das der USA, hatte Bagdad letzte Woche verlangt. Das bisherige Kontingent von zehn US-Inspekteuren soll auf keinen Fall reduziert, aus optischen Gründen möglicherweise sogar um ein oder zwei Personen erhöht werden.

Statt als Zugeständnis an Bagdad könnten UNO und USA eine verstärkte Unscom-Präsenz im Irak der Öffentlichkeit sogar als Verschärfung der Überwachungsmaßnahmen verkaufen. Formal beschlossen werden soll diese Maßnahme ohnehin erst auf einer Sitzung des Sicherheitrates – wahrscheinlich in der nächsten Woche, auf jeden Fall aber erst nachdem die bisherigen 120 Rüstungsinspekteure vollständig in den Irak zurückgekehrt sind und ihre Arbeit wiederaufgenommen haben.

Möglicherweise wird bei der heutigen Unscom-Sitzung auch über die Veränderung bestimmter Inspektionsprozeduren diskutiert, die der Irak als „willkürlich“ und „unkalkulierbar“ kritisiert hatte. Ausgeschlossen wurde von Teilnehmern des Genfer Treffens allerdings, daß den irakischen Behörden künftig Inspektionen der Unscom über das bisherige Maß hinaus vorab angekündigt werden.

Das Genfer Treffen erfolgte auf Initiative Rußlands. Moskau hatte sich aktiv in die diplomatischen Bemühungen eingeschaltet, spätestens als das Scheitern Washingtons bei der Suche nach Unterstützung in der arabischen Welt offensichtlich wurde. Die Vermeidung einer erneuten militärischen Eskalation ist ein diplomatischer Erfolg von Außenminister Jewgeni Primakow, der hiermit seinen oftmals formulierten Anspruch auf verstärkte Mitsprache Moskaus in Nahost-Angelegenheiten untermauerte. Dies gilt auch, obwohl Zugeständnisse an die irakische Führung, die Primakow in den letzten Tagen in intensiven Kontakten mit Bagdad und den Hauptstädten der anderen vier ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates ventiliert hatte, spätestens in Genf am „Nein“ von Madeleine Albright und ihrem britischen Amtskollegen Robert Cook scheiterten.

Die Inspektionen möglicher Produktionsstätten für Atomwaffen und ballistische Raketen werden nicht eingestellt, zumindest vorläufig nicht. Allerdings sind die Aussichten für ein baldiges Ende dieser Inspektionen nach Einschätzung der Unscom sehr viel besser als bei biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen. Nach Aussage ihres Chefs Richard Butler von Ende Oktober wollte die Unscom dem Sicherheitsrat „in den nächsten Monaten“ offiziell mitteilen, daß Irak bezüglich der Atomwaffen alle Auflagen der Resolution 687 erfüllt hat. Und bei den ballistischen Raketen besteht die Differenz nur noch darin, daß Irak nach Feststellung der Unscom ursprünglich über 519 dieser Waffen verfügte, Bagdad bisher aber nur den Verbleib von 518 aufgeklärt hat.

Auch einen Beschluß des Sicherheitsrates zur Erhöhung der Ölmengen, die Irak jährlich exportieren darf zum Kauf von Nahrungsmitteln, Medikamenten und anderen überlebenswichtigen Gütern. wird es – zumindest in sachlicher Verknüpfung und zeitlicher Nähe mit der aktuellen Krise – nicht geben. Schließlich wird der Sicherheitsrat Bagdad auch nicht den verlangten „verbindlichen Zeitplan zur vollständigen Aufhebung der Sanktionen“ vorlegen. Allerdings dürften Rußland, Frankreich und China den Rat auf seiner nächsten Sitzung zum Thema Irak voraussichtlich zu der ausdrücklichen Feststellung bewegen, daß die Sanktionen nach Erfüllung aller Auflagen der Resolution 687 vollständig aufgehoben werden. US-Präsident Clinton und seine Außenministerin Albright hatten im Verlauf der jüngsten Krise mehrfach erklärt, die Sanktionen blieben bis zum Sturz Saddam Husseins in Kraft.

Für UNO-Generalsekretär Kofi Annan bedeutet die Entspannung eine große Erleichterung. Eine militärische Eskalation hätte Annans ohnehin wenig aussichtsreichen Bemühungen um eine Reform der UNO und die Begleichung der Milliardenschulden der USA zunichte machen können.

USA wollen Sanktionen bis zum Sturz Saddams

Neutralität oder gar Kritik des Generalsekretärs im Falle eines Militärschlages der USA gegen Irak hätte den UNO-Gegnern im US- Kongreß weiteren Auftrieb gegeben. Seine Unterstützung für einen Militärschlag hingegen hätte bei einer Mehrheit der 185 Staaten in der Generalversammlung den Eindruck noch verstärkt, daß die UNO am Gängelband der USA laufen und das von Annan vorgelegte Reformpaket im wesentlichen den Interessen Washingtons an einer Schwächung der UNO entspricht. Andreas Zumach, Genf

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