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Versammlung zur Feier der Jospinomanie

Der erste Parteitag der französischen Sozialisten nach ihrem Wahlsieg wird zur Siegerfeier für den unumstrittenen Premier Lionel Jospin. Selbst die wütenden ArbeiterInnen von Brest haben sich rechtzeitig beruhigt  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Brest, die windige Stadt am äußersten Ende der Bretagne, ist seit gestern im Zentrum der französischen Politik. Lionel Jospin hält dort den ersten Parteitag der SozialistInnen seit ihrer triumphalen Rückkehr an die Regierung ab. Es ist ein Siegerparteitag: für den weißhaarigen Regierungschef, den alle unterschätzt hatten. Für die Partei, die sich eigentlich auf eine lange Zeit in der Opposition eingestellt hatte. Für die französische Linke, die seit ihrer rot-rosa-grünen Regierungszusammenarbeit immer näher zusammenrückt und bereits von einer „Wiedervereinigung“ der seit 1920 auf getrennten Wegen arbeitenden KommunistInnen und SozialistInnen spricht. Und für den in Brest zu wählenden künftigen Parteichef François Hollande, den Jospin selbst als Nachfolger vorgeschlagen hat. Neben den üblichen sozialdemokratischen und sozialistischen Parteichefs, darunter Oskar Lafontaine, hat die PS in Brest erstmals auch einen kommunistischen Parteichef eingeladen. Robert Hue, den der Tod seines Vorgängers Georges Marchais um eine Altlast leichter gemacht hat, wird in Brest seine Lobreden auf Jospin und die Zusammenarbeit der „Gauche plurielle“, der Linken aller Schattierungen, fortsetzen.

Jospin ist innerparteilich wie gesamtfranzösisch beinahe unumstritten. Die notorisch nörgelnden Franzosen stehen auch sechseinhalb Monate nach den Wahlen noch mit weit über 60 Prozent zu ihm als bestmöglichen Regierungschef. Jospins europapolitische Kehrtwende, die umstrittene Einführung der 35-Stunden-Woche und der sechstägige Streik der Lkw-Fahrer haben daran genausowenig ändern können wie die Tatsache, daß sich die reale Lage in Frankreich kaum verändert hat. Die Reformen sind zurückhaltend, die Kaufkraft stagniert, und die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie eh und je.

Hilfreich für den Premier ist unfreiwillig seine politische Opposition. Der Neogaullist Jacques Chirac, der ohne Not die Wahlen ausgelöst hatte, die Jospin zum Sieger machten, hat sich in seinem Präsidentenpalast eingebunkert. Die konservative Opposition im Parlament ist durch interne Linienkämpfe und politische Orientierungslosigkeit geschwächt.

Bei den SozialistInnen hat das Phänomen Jospin — die liberale französische Tageszeitung Libération spricht von „Jospinomanie“, das konservative Blatt Figaro von der „Ära Jospin“ — dazu geführt, daß 85 Prozent der mitgliederschwachen Partei seine Position unterstützen. Die PS, die in den letzten Jahren in zahlreiche konkurrierende Strömungen zerfiel, kennt gegenwärtig nur die kleine und mit knapp zehn Prozent schwache innerparteiliche Opposition der „Gauche Socialiste“.

Erstmals seit 1981, als der neugewählte Staatspräsident François Mitterrand die Parteiführung (allerdings nur für kurze Zeit) in die Hände seines späteren Kritikers Jospin gab, erscheint die PS als Block. Daran können selbst die von Jospin ein wenig ins Abseits gedrängten Mitterrandisten à la Jack Lang und Laurent Fabius nichts ändern. Gefahr drohte dem Siegerparteitag allenfalls von den ArbeiterInnen in Brest. Die Brestois, die traditionell vom Bau von Kriegsschiffen und Atom-U-Booten leben, haben in diesem Sommer festgestellt, daß die sozialistische Regierung genausoviel im militärisch-industriellen Komplex streichen will wie ihre konservative Vorgängerin. Im Oktober schlugen DemonstrantInnen das Mobiliar des sozialistisch geführten Rathauses zusammen. Die PS- Zentrale erwog daraufhin eine Verlegung des Parteitages. Im letzten Moment sorgte dann ein neuer Auftrag für eine Ölplattform für relative Ruhe in Brest. Zu der gestrigen Demonstration vor Beginn des PS-Parteitages kamen nur wenige tausend TeilnehmerInnen.

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