„Heiliger Krieg“ vor Gericht

In Paris hat der Prozeß gegen mutmaßliche Komplizen der Bombenleger von 1995 begonnen. Islamisten oder algerischer Geheimdienst – wer ist schuld?  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Zwei Jahre nach der Attentatswelle in Frankreich, bei der acht Menschen ums Leben kamen und 130 verletzt wurden, begann gestern vor einem Pariser Strafgericht ein Verfahren gegen 38 mutmaßliche Komplizen der Bombenleger. Den mehrheitlich aus französischen Vorstädten stammenden 23- bis 37jährigen Angeklagten wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Im Auftrag der Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) in Algerien sollen sie Waffen gelagert und transportiert, Papiere besorgt und Botschaften weitergegeben haben. Eine direkte Beteiligung an einem der acht Anschläge wird keinem der Angeklagten vorgeworfen.

Einer der beiden Chefs des Netzes, das seine Basen in den Banlieues von Lyon und Lille hatte, befindet sich immer noch auf der Flucht. Ali Touchent alias Tarek oder Samir war Ende der 80er Jahre aus Algerien nach Frankreich gekommen und hatte im Auftrag der GIA die Kontakte zu den Vorstadtjugendlichen geknüpft, von denen die meisten zuvor weder religiös noch straffällig waren. Zusammen mit dem jetzt vor Gericht stehenden Boualem Bensaid hatte er die Rekruten auf den Dschihad, den „heiligen islamischen Krieg“, vorbereitet und viele von ihnen zur „Fortbildung“ nach Afghanistan, Pakistan, Bosnien und nach Algerien geschickt.

Einige der jetzt vor Gericht stehenden Rekruten haben dem Netz den Rücken gekehrt, als sie von den Attentatsplänen in Frankreich erfuhren. Andere, darunter die beiden zum Islam konvertierten Joseph Jaime und David Vallat, wollen sich aus Gegnerschaft zu der geplanten Gewalt auf logistische Aktivitäten, wie das Anmieten einer Wohnung in Lyon, beschränkt haben. Der einzige direkte Attentatsbeteiligte ist tot. Der 24jährige Khaled Kelkal, dessen Fingerabdrücke auf einer rechtzeitig entschärften Bombe identifiziert worden waren, war in einem Wald bei Lyon von französischen Polizisten vor laufenden TV- Kameras erschossen worden.

Der Pariser Prozeß ist das erste Verfahren, bei dem die Netze der GIA in Europa vor Gericht kommen. Er zeigt, daß die bewaffneten algerischen Islamisten entgegen anderslautender Erwartungen sehr wohl in der Lage waren, junge Männer mit französischen Pässen und ohne Vergangenheit in Algerien zu rekrutieren.

Rechtzeitig vor Verfahrenseröffnung hatten „Überlaufer“ des algerischen Geheimdienstes in London und Paris den Medien gesteckt, die Attentate seien von dem Regime Zéroual ferngesteuert worden. Allerdings zeigen ihre Berichte seltsame Widersprüche. Die algerischen Behörden dementierten umgehend. Der Zweifel blieb.