: Die Ölscheichs der Zukunft
Das Kaspische Meer wird zur wichtigsten Alternative gegenüber dem Nahen Osten. Doch Rußland schürt Streit, um seinen Einfluß dort nicht zu verlieren ■ Von Jürgen Gottschlich
Berlin (taz) – „Sehen Sie“, sagt der Wissenschaftler vom Kieler Institut für Weltwirtschaft, „um die Relevanz eines Ölgebietes zu beurteilen, muß man die unterschiedlichsten Fragen berücksichtigen.“ Selbstverständlich, so Federico Foders, sei es wichtig, wie ergiebig ein Feld voraussichtlich sein wird. „Den Schatz muß man aber auch heben können. Technisch und politisch. Oft sind die technischen Fragen leichter zu lösen als die politischen.“ Beide Faktoren sind wichtig für den Preis, den ein Ölkonzern pro gefördertes Barrel investieren muß. Um zu wissen, was letztlich damit zu verdienen ist, kommt noch der Weg zum Kunden dazu. „Das Kaspische Meer liegt ja vor der europäischen Haustür, das bietet sich natürlich an.“
Wie groß die unterirdischen Ölseen und Gasvorräte rund ums Kaspische Meer tatsächlich sind, ist noch umstritten. Allein unter dem von Aserbaidschan beanspruchten Festlandssockel werden 15 bis 25 Milliarden Tonnen Öl vermutet. Rechnet man die gesamten Öl- und Gasvorkommen in Kasachstan und Turkmenistan dazu, kommt man auf bis zu 200 Milliarden Tonnen. Auch wenn diese Schätzungen überzogen sein sollten: die bislang größten bekannten Ölreserven in Saudi-Arabien betragen rund 80 Milliarden Tonnen.
Die technischen Probleme am warmen Kaspischen Meer sind im Vergleich zu Sibirien, Alaska oder den Feldern im Atlantik nördlich von Schottland leicht zu bewältigen. Viel schwieriger ist der politische Zugriff: Während Aserbaidschan und Kasachstan mit dem Westen ins Geschäft kommen wollen, schürt Rußland Krieg und Bürgerkrieg, um seinen Einfluß in der Region nicht zu verlieren. Wortreich beklagt Reagans früherer Kriegsminister Caspar Weinberger, der Westen sei dabei, über eine unsinnige Nato-Osterweiterung den Kampf um die wichtigsten fossilen Ressourcen der Zukunft zu verlieren. Längst ist von einer Neuauflage des „Great Game“ die Rede, jenem Kampf ums Öl, der gegen Ende des Ersten Weltkriegs schon einmal im Mittleren Osten ausgetragen wurde. Als Michael Gorbatschow 1990 die Länder der Sowjetunion wieder auf den Weltmarkt entließ, gingen westliche Ölmanager erst einmal ins Archiv.
Baku, die größte Stadt am Kaspischen Meer und heute die Hauptstadt der Republik Aserbaidschan, ist das Zentrum des ältesten Ölfördergebietes der Welt. Die Vorläufer von Shell, Britisch Petroleum (BP) und Exxon haben hier bereits um die Jahrhundertwende erste Vermögen verdient, was lag da näher, als die alten Pläne wieder herauszuholen.
Die Briten waren die ersten. Groß geworden auf den Ölfeldern Persiens, waren sie als Experten der Region bereits vor Ort, als in Baku noch Truppen des Moskauer Innenministerums Demonstranten mit dem Spaten erschlugen. BP übernahm die Führung des ersten Konsortiums,dem es gelang, einen Vertrag mit der aserbaidschanischen Regierung unter Dach und Fach zu bringen.
Der sogenannte Jahrhundertvertrag mit einem Investitionsvolumen von bis zu 30 Milliarden Dollar wurde im September 1994 unterzeichnet. Nach Krieg und Bürgerkrieg, diplomatischen Auseinandersetzungen auf höchster Ebene in Washington, London und Moskau und einer Investition von über sieben Milliarden Dollar für die schwimmende Plattform im Meer vor Baku sprudelte vor zehn Tagen das erste Öl von Tschirag-1 durch die Pipeine zum Küstenterminal nach Sangatschal. Drei Felder mit insgesamt 650 Millionen Tonnen bestem Öl will das Konsortium in den nächsten Jahren ausbeuten.
Außer den Briten sind die US- Amerikaner, Norweger, Russen und Türken mit dabei. Zwanzig Prozent hält der aserbaidschanische Staatskonzern Socar.
Mittlerweile sind vier weitere Konsortien gegründet worden, die im Joint-venture mit der aserbaidschanischen Staatsfirma Socar im Kaspischen Meer nach Öl suchen. Seit neuestem sind auch die Deutschen mit dabei. „Im Juni dieses Jahres“, so Wilfried Herr, Sprecher der Essener Firma Deminex, „wurde unser Vertrag rechtskräftig.“ Deminex arbeitet in Baku im Verbund mit der französischen Elf Aquitaine, der belgischen Petrofina und Socar. Zwar ist die Veba- Tochter nur mit zehn Prozent beteiligt, aber das lag offenbar nicht an mangelnder Risikobereitschaft in Essen, sondern am schlechten Timing. „Wir hätten gerne mehr gehabt“ sagt Herr, „haben aber leider nicht mehr bekommen.“
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, meint dazu der Kieler Forscher Foders. Bereits Anfang der 90er Jahre hätte sein Institut die deutsche Wirtschaft wiederholt auf die Chancen in der ehemaligen Sowjetunion und speziell am Kaspischen Meer hingewiesen. „Doch ohne großen Erfolg.“ Den deutschen Firmen, glaubt Foders, war die rechtliche Situation zu unsicher. Außerdem habe keine deutsche Firma Erfahrungen wie BP, Shell oder Exxon.
Wenngleich die drei deutschen Konzerne Veba, Preussag und RWE, die über ihre Töchter Deminex, Preussag Energie und DEA im internationalen Öl-Business mitmischen, nicht ganz arm sind, geht es doch um Milliardensummen, die als Vorlaufkosten erst einmal aufzubringen sind. Im Moment weiß die Deminex noch gar nicht, ob in dem Gebiet, das sie nun mit untersucht, wirklich abbaubares Öl liegt. „Wir machen jetzt die ersten Untersuchungen. Bis Sie Off-shore bohren können, vergehen gut sieben Jahre“, rechnet Wilfried Herr vor. In sieben Jahren kann aber in einer Region wie der am Kaspischen Meer eine Menge passieren. Allerdings zeigt der Blick nach Saudi-Arabien und in die Emirate, daß Stabilität durchaus relativ ist. „Europa“, so Foders, „braucht dringend eine Alternative zum Nahen Osten.“
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