■ Der neuste Individualismus im Straßenverkehr: Katzenköppe – oder Bärenköppe
Als sie vergangenen Sommer plötzlich überall auftauchten, dachte ich ja noch: Was soll's, im Winter verschwinden sie ja eh wieder. Ein Trugschluß: Sie sind immer noch da. Debil grinsende Panda- oder Katzenköpfe in Auto-Seitenfenstern! Anthrazitfarben, plattgepreßt und von der Größe mittlerer Mülltonnendeckel pappen sie seit Juni in jedem vierten Fiat-Uno und sollen die böse Sonne davon abhalten, ihre Strahlen ins Autoinnere zu senden. Denn spätestens seit Juni wissen wir: Sonne im Auto darf nicht sein! Die muß man draußen halten! Mittels grinsender Katzenköpfe.
Mein Nachbar hat auch so einen am rechten Fond-Fenster seines Corsa. Ich zu ihm: „Was soll'n der häßliche Katzenkopp in deinem Autofenster?“ Er: „Der ist, damit die Sonne nicht blendet.“ „Wen denn?“ Er: „Die hinten sitzen.“ Nun hat mein Nachbar ja Kinder. Die sitzen meistens hinten. Als ich noch ein Kind war, saß ich auch meistens hinten. Aber ohne Katzenkopp. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr glaube ich, diese seltsamen Katzen- und Bärenköpfe hängen nur deshalb im Autofenster, weil sie so hip sind.
Vor ein paar Jahren war noch diese eklige Abdunkelungsfolie hip, die man sich hinten an die Heckfensterscheibe klebte, wo sie dann häßliche Falten schlug und nie wieder abging. Dann waren mal diese unsäglich knallbunten „Klecks“-Aufkleber hip, die es in allen Farben und an jedem Schießstand auf der Kirchweih gab, und die man sich an alle nur erdenklichen Stellen ans Auto kleben konnte, um zu demonstrieren, daß man sich gerne hippe Farbkleckse auf sein Auto klebt. Zwischenzeitlich war es mal quasi Pflicht, sich häßliche Stofftiere mit Saugnäpfen an den Füßen auf die Autoscheibe zu kleben. Vorzugsweise einen fetten Garfield, der die Zunge rausstreckt. Die sind heute nur noch auf Flohmärkten zu haben und sowas von out, daß einem sofort der Lack zerkratzt wird, wenn man sie noch im Auto hat.
Tja, und jetzt müssen es wohl Katzenköppe sein. Oder Bärenköppe. Der neueste Fluch des Individualismus im Straßenverkehr, den kein Mensch braucht, aber jeder will. Ich seh' die Leute schon vor mir, wie sie durch die Kaufhöfe laufen und zueinander sagen: „Du, Heinrich, schau mal, da sind diese hippen Katzenköppe fürs Autofenster, die schon alle unsere Nachbarn haben. Sind die nicht lustig?“ „Aber ja, Ilse, die sind lustig! So einen wollen wir auch in unser Autofenster kleben.“ Und schon werden Katzenköppe gekauft, daß es eine wahre Freude ist. Oder Bärenköppe. Oder links ein Katzen- und rechts ein Bärenkopf. Und dann wird es dunkel in deutschen Autos. Sehr dunkel. Wo dem Trend gefolgt werden muß, ist eben kein Platz mehr für Sonnenlicht. Und im Verkehrsstau auf der A3 fühlt man sich fast zwangsläufig wie bei der „Konferenz der Tiere“.
Ich selbst habe nur einen abgewetzten „Wer das liest, fährt zu dicht auf!“-Aufkleber auf dem Autoheck kleben. Den hat noch mein lustiger Wagenvorbesitzer angebracht. Das war zu seiner Zeit bestimmt unglaublich hip. In seinem neuen Auto hat er jetzt unter Garantie einen Katzenkopp. Man muß mit der Zeit gehen, sonst werden die Erfinder lustiger Sachen in diesem Lande arbeitslos. Morgen kaufe ich mir auch einen Sonnenschutz-Kopf. Einen Bären wahrscheinlich. Mein Sohn hat Katzenallergie. Frank M. Ziegler
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