■ Die Münchnerin Britta Coy und fünfzig andere Leute reisen per Bahn zum Klimagipfel: Mit reinem Gewissen unterwegs nach Kioto
Wenn in Kioto die dritte UN- Klimakonferenz beginnt, ist für Britta Coy, 27, das Abenteuer fast schon wieder vorbei. Wahrscheinlich wird sie sich nachts den Kopf angeschlagen haben, wenn sie auf dem Weg zur Zugtoilette war – das wollte sie eigentlich vermeiden: „In einem Buch über die transsibirische Eisenbahn steht, daß man sich bei der Schaffnerin einen Gurt geben lassen kann, damit man in der Nacht nicht aus dem Bett fällt“, berichtet sie am Tag ihrer Abreise.
Mit dem Zug nach Japan, das bedeutet für Britta und fünfzig weitere Umweltaktivisten nicht nur zwei Wochen ohne bequemes Bett, sondern auch ein volles Programm.
Unterwegs gibt es viel zu tun: In Berlin eine Pressekonferenz, in Warschau Treffen mit polnischen Umweltgruppen, um die dortigen Bäume zu retten, weil die wohl gerade abgeholzt werden. In Moskau der Zusammenschluß mit den anderen Teilnehmern der Reise, Treffen mit russischen Umweltgruppen, wieder Pressekonferenzen. Dasselbe drei Tage später in Nowosibirsk. In Peking dann Zurückhaltung: „Wenn wir dort eine Aktion machen, dann kommen wir nicht nach Japan.“
Aber dorthin wollen sie, begeistert von der Idee, nicht mehr Teil des Problems zu sein, sondern „Teil der Lösung“, wie es ein Flugblatt zum „Klimazug nach Kioto“ verspricht. Ein Abenteuer mit eingebautem guten Gewissen? Nicht nur. Die ganze Vorbereitung lief über E-Mail-Kontakte der Teilnehmer, und jeder, der Interesse an der Reise hatte, sollte sich auch aktiv an der Diskussion beteiligen.
Bis vor kurzem sah es noch so aus, als ob die Reisenden sich ihr Engagement selbst bezahlen müßten, bis zuletzt hat Britta um Unterstützung bei Umweltstiftungen geworben. Und schließlich kam auch Geld herein: von der Europäischen Kommission, aus Österreich und von einer Münchner Stiftung des Bund Naturschutz. Britta Coy, die im Mai ihr Sozialgeographie-Studium abgeschlossen hat, hätte darauf sogar verzichtet. Nach ihrem Studium hat sie drei Tage die Woche bei einer Computerfirma gearbeitet, hat Geld beiseite gelegt, hat ihr Zimmer im begehrten Münchner Glockenbachviertel aufgegeben und sparte sich, weil sie einen längeren Aufenthalt im Ausland geplant hatte, zum Leidwesen ihrer Eltern zeitweilig die hiesige Krankenversicherung.
Und das, obwohl das Klima eigentlich gar nicht ihr Leib-und- Magen-Thema ist: „Der erste Klimagipfel war in Berlin, damals habe ich in Amsterdam für eine europäische Umweltorganisation gearbeitet und eine große Gegenkonferenz mit 600 Jugendlichen aus ganz Europa organisiert. Da bin ich eigentlich so ins Klima reingerutscht.“ Überhaupt: „Im Endeffekt gehört ja eigentlich alles zum Klima.“
Da regt sie sich natürlich schon mal auf, wenn Kommilitonen auf einer Exkursion Bier in Dosen kaufen, weil das billiger ist. Oder wenn jemand bei offenem Fenster die Heizung laufen läßt. Flugreisen an sich lehnt Britta allerdings nicht ab, schließlich könne man nicht von jemandem, der nach Indien oder Amerika will, erwarten, daß er dorthin beispielsweise mit dem Zeppelin fliegt – auch das eine Idee, die anfangs als Alternative zum Klimazug diskutiert worden war, allerdings wäre ein Luftschiff viel zu teuer gewesen. Und, es ist ihr etwas peinlich, auch sie selbst hat schon einmal gesündigt. Ausgerechnet auf der Klimakonferenz in Berlin hat sie sich in einen Kanadier verliebt – spätere Flugreise inbegriffen. Jetzt ist Britta allerdings, allen Globalisierungstendenzen trotzend, in festen Münchner Händen, und ihr Freund, ebenfalls bei der Umweltinitiative Green City engagiert, unterstützt sie in ihren Aktivitäten. Obwohl sie sich sehr auf die vielen Menschen freut, die sie auf dem Weg nach und in Japan kennenlernen wird, hält sie die Gefahr späterer Liebesreisen nach Kioto für eher gering: „Alle sagen zwar schon, daß ich dableiben werde, aber eigentlich interessiert mich Japan nicht so sehr, und in München bin ich glücklich.“ Es wartet auch schon eine neue Aufgabe beim Bund Naturschutz, diesmal „im Ernährungsbereich“, und ein solches Angebot kann Britta nicht ausschlagen – Jobs sind auch in der Umweltbranche schwer zu bekommen.
Über die grundsätzliche Sinnhaftigkeit ihrer Bahnreise macht sich die Umweltaktivistin nichts vor. Klar hätten die Zugaktivisten einen um ein Drittel geringeren CO2-Ausstoß zu verantworten als die Japanflieger. In erster Linie sei die Reise für sie aber eine Möglichkeit, die Öffentlichkeit auf die Klimaproblematik hinzuweisen und dabei Kontakte mit Gleichgesinnten zu knüpfen. Erfahrungsgemäß bedeute eine solche Aktion einen großen Motivationsschub für die spätere Arbeit.
Mit dem offiziellen Klimagipfel verbindet sie keine großen Erwartungen, aber: „Es ist einfach wichtig, das Feld nicht alleine den Vertretern aus Wirtschaft und Politik zu überlassen.“ Weihnachten will Britta Coy zu Hause feiern. Erschöpft wird sie sein, viele neue Freunde gefunden und einige Warschauer Bäume gerettet haben. Und wenn zum nächsten Klimagipfel doch noch mal ein Zeppelin fliegen sollte, dann wird sie, da kann man sicher sein, ihre Karte dafür schon Monate im voraus gebucht haben. Stefan Kuzmany
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